Himmelsschwingen
ergründen. Stattdessen beobachtete er fasziniert, wie sich ein Bündel Papiere vor ihm auf dem Tresen materialisierte. Leichtsinnig, denn es gab mensch liche Gäste in dieser Bar, und er hätte wetten können, dass die wenigsten von ihnen ahnten, in welch exotischer Gesellschaft sie sich befanden. Dass er gerade mit einem Schwert herumgefuchtelt hatte, was in der heutigen Zeit ebenfalls nicht üblich war, ignorierte er einfach.
»Vorher solltest du deine Schulden begleichen, der Rückweg könnte sonst unangenehm werden.«
Die Arroganz dieses namenlosen Seelenhändlers ging ihm allmählich auf die Nerven. Etwas von dieser Ungeduld musste sich in seinen Gesichtszügen gezeigt haben. Ein Beweis dafür, dass das in einigen Landstrichen fälschlicherweise als Lebenswässerchen bezeichnete Gift durchaus seine Wirkung tat.
Womöglich irrte er sich aber auch. Fehleinschätzungen gehörten zu den zuweilen erstaunlichen Nebenwirkungen seiner Alkoholsucht, ebenso wie der rasche Wechsel zwischen Gleichgültigkeit und einer gewissen Unduldsamkeit. Er hatte sich vorgenommen, jedes diese Phänomene zu notieren, war aber bisher aus ihm unerfindlichen Gründen nicht dazu gekommen. Ein weiteres Glas schärfte seine Sinne für das, was nun kommen würde. Als das Brennen im Hals langsam nachließ, blinzelte er kurz, um sich zu konzentrieren, und fokussierte den Seelenhändler anschlie ßend mit einem kühlen Blick. Nur an den Kanten wirkte das Bild nach wenigen Sekunden kaum der Rede wert, ein wenig – wie sollte man sagen? – ausgefranst. Besser, wenn er die nun folgenden Verhandlungen schnell hinter sich brachte. »Was willst du?«
Jemand lachte. Das Geräusch klang hässlich und störte ihn. Bis Samjiel begriff, dass nicht der Dunkle Engel, sondern er selbst diese Dissonanzen absonderte, hatte der ihn schon am Kragen.
»Hör mal zu, mein Freund! Wenn du glaubst, du kannst wochenlang auf Kredit saufen und am Ende die Zeche prellen, musst du noch viel lernen!«
»Quaid, lass das!«
Die Stimme kannte er, ganz bestimmt. »Iris?« Ein dumpfes Grollen war zu hören, plötzlich wurde die Musik lauter. Irgendjemand hielt ihn fest, dann schlug eine Tür zu, und die Geräusche verstummten.
»Du meine Güte, Sam. Was um Himmels willen suchst du ausgerechnet hier ?«
Frische Luft kühlte sein glühendes Gesicht. Wie sehr er sich auch bemühte, es gelang ihm nicht, die Augen offen zu halten. Geflüsterte Worte umschmeichelten ihn wie das Wasser einer tropischen Lagune, in der er zu schweben glaubte, wie ein Delfin in einzigartiger Harmonie mit sich selbst und dem Universum.
Ursprünglich hatte Iris ihm nicht folgen wollen, dann aber einem Impuls nachgegeben und sich auf die Suche nach Samjiel gemacht, sobald die blutverschmierte Kleidung gewechselt war. Es fehlte noch, dass irgendein verwirrter Vampir auf die Idee kam, sie zu belästigen. Obwohl ein solcher Übergriff recht unwahrscheinlich sein dürfte , dachte sie belustigt. Zurzeit hielten sich in der Stadt äußerst wenige dieser nachtgebundenen Geschöpfe auf – es war ja fast rund um die Uhr hell.
Den Heerführer der Gerechten ausgerechnet in dieser Bar zu finden, hatte sie – gelinde gesagt – überrascht. Der Name Gateway to Heaven wäre amüsante Ironie gewesen, wenn sich dort nicht tatsächlich ein ziemlich durchlässi ger Eingang zur Unterwelt befunden hätte, den die W äch ter ständig im Auge behielten. Gemeinsam übrigens mit Kollegen aus dem Reich der Dunkelheit, weil Luzifer ebenfalls kein Interesse daran hatte, dass seine Dämonen unkontrolliert über die Welt herfielen. Quaid gehörte auch zu der Garde dunkler Wächter, und es war kein Geheimnis, dass er sein Budget gern damit auffüllte, gefährdete Seelen auf weitere Abwege zu führen. Nicht im Himmel, sondern in der Hölle landete früher oder später, wer sich zu häufig im Gateway aufhielt und dabei in Quaids Fänge geriet.
Zuerst war sie also nur verwundert, aber nachdem sie erkannt hatte, dass Samjiel seine Trunkenheit nicht vor täuschte, beschloss sie kurzerhand, ihn mitzunehmen. Es konnte für alle Beteiligten überaus gefährlich werden, wenn ein Krieger seine Sinne nicht zuverlässig zu kon trollieren wusste. Und das war in seinem jetzigen Zustand eindeutig nicht der Fall.
»Wie viel hat er gesoffen, ein ganzes Fass?«, platzte Iris heraus.
Quaid lachte und wedelte mit einem Stapel Schuld scheine. Das zumindest war, wenn man es genauer be trachtete, ein gutes Zeichen.
Offenbar hat er keine
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