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Himmelsschwingen

Himmelsschwingen

Titel: Himmelsschwingen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jeanine Krock
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Ergänzung zu den Haaren ergab, die immer ein bisschen ungekämmt wirkten, als hätte sich der Wind darin ausgetobt. Etwa kinnlang, schimmerten sie in allen Blondtönen von hell bis zu einem rötlichen Braun. Was in ihr den Wunsch weckte, selbst in Augenschein zu nehmen, welche Farbe die gewiss vorhandene Behaarung a n den momentan nicht sichtbaren Körperstellen hatte. Natürlich konnte sie Schlüsse ziehen, aber nichts ging doch über den persönlichen Eindruck. Unwillkürlich musste sie seufzen. Wie schade, dass dies vermutlich die einzige Gelegenheit sein würde, diesen Anblick zu genießen. Eilig hielt sie sich die Hand vor den Mund, um sich nicht durch einen weiteren Seufzer zu verraten.
    Er bewegte sich erneut und lenkte damit ihre Aufmerksamkeit wieder auf die herrlichen Flügel. Wie die Krone eines Baums schienen auch die Schwingen der Engel mit dem Alter stattlicher zu werden – seine waren einfach formidabel. Die großen Schwungfedern glänzten wie frisch lackiert und bildeten mit ihren silbrigen Spitzen ein unvergleichliches Muster. Iris beugte sich vor und blies in den zarten Flaum hinein, bis er sich zu winzigen Wölkchen aufplusterte. Sie liebte den Anblick zu sehr, um widerstehen zu können. Und erneut war sie versucht, den Schlafenden zu berühren – nur einmal wollte sie über den Rücken der Schwingen streichen; diese intimste aller Berührungen genießen dürfen. So sehr sehnte sie sich danach, dass sie glaubte, das Herz müsste ihr zerspringen, und ein nie gekanntes Beben tief im Inneren ihres Körpers ließ auch die Hand zittern, als Iris sie erneut ausstreckte, um zu tun, was in die sichere Verdammnis führen musste.
    Iris …
    Erschrocken sprang sie auf und floh aus dem Zimmer. War das Samjiels warme Stimme gewesen, die sie gelockt hatte, oder eine Warnung, der Versuchung nicht nachzugeben?
    Bis sie sich traute, zurückzukehren, verging geraume Zeit. Sie duschte, wusch sich die Haare, verbrauchte eine halbe Packung Zahnseide – ein vollkommen sinnloses Unterfangen, da ihre Zähne sogar dann noch makellos geblieben wären, hätte sie im Kampf durch ein Missgeschick einen davon beschädigt oder gar verloren. Spätestens am nächsten Tag wäre er perfekt nachgewachsen.
    In einem Pyjama, den sie nur gekauft hatte, weil die Karos sie an ihr Lieblingsland erinnerten, schlich sie zurück, schloss behutsam die Tür zum Schlafzimmer und vermied es dabei, zum Bett zu sehen.
    Es wurde eine lange Nacht. Samjiel in diesem Zustand gänzlich unbewacht schlafen zu lassen, wagte Iris nicht, schon allein, weil jederzeit ein anderer Wächter auftauchen konnte, um hier Station zu machen. Ein solches Treffen hätte übel ausgehen können, denn es gab unter ihren Leuten auch einige, deren Hass auf die Gerechten groß genug war, um selbst den General zum Kampf heraus zufordern.
    E-Mails hatte sie nicht erhalten, und die eine, die sie unbedingt schreiben musste, war schnell abgeschickt. Das russische Fernsehprogramm entsprach nicht ihrem Geschmack, und die Couch stellte sich als außerordentlich unbequem heraus. Unruhig drehte sie sich hin und her, hoffte, dass ihre Pläne aufgehen würden, und dachte immer wieder an die leibhaftige Versuchung, die bequem in ihrem Bett lag und den Schlaf der Gerechten schlief.
    Schließlich gelang es ihr, eine Position zu finden, in der sie die Flügel über die Armstützen hängen lassen konnte, ohne allzu viele Federn zu verknicken und trotzdem noch einigermaßen liegen zu können, wenn sie sich genügend Kissen in den Rücken stopfte. Während sie darüber nachdachte, weshalb Samjiel die Krankenstube so eilig verlassen hatte und warum er danach ausgerechnet ins Gateway geflohen war, musste sie wohl eingeschlafen sein, denn das Nächste, was sie sah, war ein nackter Engel, der vor ihrer Couch stand und ärgerlich ihren Namen sagte.
    »Dir auch einen guten Morgen!« Iris setzte sich auf und versuchte, nicht zu starren. Die Frage, wie er von vorn aussehen mochte, war nun geklärt. Waschbrettbauch, breite Brust, außerordentlich nett anzusehen, alles keine große Überraschung. Unmittelbar in Augenhöhe allerdings … Allmächtiger !
    Hastig sprang sie auf und floh ins Bad. Bevor sie die Tür hinter sich schloss, rief sie über die Schulter: »Zieh dir was an!« Bitte!
    Als sie einigermaßen erfrischt und umgezogen zurückkehrte, wartete er mit vor der Brust verschränkten Armen auf sie. Die herrlichen Flügel waren leider nicht mehr zu sehen, und auch sonst gab es wenig, was sie

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