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Himmelsschwingen

Himmelsschwingen

Titel: Himmelsschwingen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jeanine Krock
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und als sie einen sauberen Löffel dazugeben wollte, winkte Iris ab.
    »Danke. Der hier genügt mir.« Wie zum Beweis leckte sie noch einmal darüber, bevor sie von der nächsten Versuchung kostete.
    Einer ihrer Aufträge hatte sie vor vielen Jahren an die Loire geführt, wo ihr Schützling eine herrschaftliche Schlossküche leitete. Schon immer hatte sie gutes Essen geliebt, aber dort hatte sie auch gelernt, exquisite Speisen zuzubereiten. Auch einem Schluck edlen Weins war sie seither nicht abgeneigt. Betrunken, so wie Samjiel, war sie aber noch nie gewesen. Okay, vielleicht hatte ich mal einen klitzekleinen Schwips , dachte sie amüsiert. Eine wunderbare Zeit. Bis der Koch, ein gefallener Engel, auf den sie achtgeben sollte, leider den Verführungskünsten einer außerordentlich attraktiven Dämonin erlegen war und mit den dunklen Mächten paktieren wollte, sodass sie ihn hatte hinrichten müssen, bevor Schlimmeres geschah. Als sie daran dachte, wie er am Ende vor ihr gekniet und um Gnade gefleht hatte, verzog Iris den Mund.
    »Schmeckt es nicht?« Die besorgt klingende Stimme der Verkäuferin riss sie aus ihren Erinnerungen.
    »Doch, doch. Es ist nur … ziemlich viel Knoblauch darin.«
    »Tatsächlich?« Nun probierte die Frau ebenfalls. »Ja, stimmt. Das muss man mögen.« Sie überlegte kurz. »Petersilie? Nein, warte, hier habe ich noch etwas ganz Besonderes für dich. Joghurt von der polnischen Grenze und besten Bashkir-Honig mit Mandeln aus Turkmenistan.«
    Iris löffelte auch dieses Schälchen leer, und die Verkäufe rin hatte noch viele Köstlichkeiten auf Lager, die sie groß zügig auch an andere Kunden verteilte. Iris war längst pappsatt, als sie sich auf einmal an ihren Begleiter erinnerte.
    Samjiel stand zum Glück immer noch neben ihr und betrachtete sie, wie es schien, von oben herab. Aber das konnte täuschen – schließlich war er größer als sie, und das Zucken um seine Mundwinkel hätte auch bedeuten können, dass er sich amüsierte.
    »Wir nehmen einen Becher davon«, sagte er zu ihrer Überraschung und zeigte auf die letzte Kostprobe, bei der sich Iris hatte beherrschen müssen, um den kleinen Napf am Ende nicht sorgfältig auszulecken.
    Natürlich! Es wäre ziemlich unhöflich gewesen, sich durch das Angebot zu naschen und dann einfach weiterzugehen.
    »Sieh mal!« Ein üppig dekorierter Obststand hatte Iris’ Aufmerksamkeit erregt, und ohne auf Samjiel zu warten, lief sie hinüber. Riesige Weintrauben hingen an mehreren Metallgestellen und sahen aus wie dunkelblaue Baumkegel. Gleich daneben lagen blank polierte Äpfel und hellgrüne Birnen wie gemalt. Fein duftende Orangen waren mit militärischer Sorgfalt zu einer Pyramide aufgestapelt, davor ein geblümtes Tellerchen, auf dem abgezogene Spal ten ausgelegt waren, die zum Probieren einluden. Iris nahm sich eine davon und steckte sie in den Mund. Das Aroma der süßlich sauren Frucht explodierte auf ihrer Zunge; überwältigt legte sie den Kopf in den Nacken und schloss die Lider. »Es muss Äonen her sein …«, hörte sie sich seufzen und riss gleich darauf die Augen wieder auf. Samjiels Gesicht war ganz dicht vor ihrem. Ein ahnungsloser Beobachter hätte glauben können, er wollte sie küssen.
    Stattdessen tat er etwas beinahe ebenso Unerhörtes. Er wischte ihr über den Mundwinkel und steckte den Daumen, an dem nun ein orangefarbener Tropfen glitzerte, in seinen Mund, um ihn abzulecken. »Köstlich, nicht wahr?« Dabei zwinkerte er ihr zu.
    Wollte er ihr zu verstehen geben, fragte sich Iris, dass sie ihn unterschätzte, wenn sie glaubte, er hätte keinen Sinn für die schönen Dinge, die diese Welt – verlorenes Paradies oder nicht – noch in großer Fülle besaß?
    Samjiel hob eine Augenbraue, als hätte er ihre Gedanken erahnt. »Manchmal könnte man annehmen, die Menschen bereuten es, das Paradies verlassen zu haben, und setzten alles daran, es mit ihren bescheidenen Mitteln neu zu erschaffen.« Sein Blick streifte den Fleischstand, wo Verkäuferinnen in blau gestreiften Kittelschürzen begonnen hatten, die Ware für die Nacht zu verstauen. Kühl fuhr er fort: »Aber in all den Jahrhunderten haben sie einige grundlegende Dinge immer noch nicht verstanden. Hast du mir das zeigen wollen?« Er drehte sich um, und dieses Mal war er es, der voranging.
    Iris folgte ihm aus der Markthalle, hinaus in den warmen Sommerabend. Wortlos gingen sie eine Weile nebeneinander durch die Straßen, die in der Zwischenzeit nicht leerer geworden

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