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Himmelssucher - Roman

Himmelssucher - Roman

Titel: Himmelssucher - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: carl's books Verlag: Verlagsgruppe Random House GmbH
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anscheinend in der Schule. Ich war nicht da, bekam es also nicht mit, aber das alles hatte ein Nachspiel.
    In der Pause am Vormittag konnte ich ihn nicht finden. Nachdem ich die Sportfelder abgesucht hatte – die Kickballplätze und Tetherball-Pfosten –, fiel mir am Rand des Schulgeländes eine Gruppe von Jungen auf, die johlend um einen Baum standen. Zwischen ihren Rücken erkannte ich Jason. Er lehnte am Baum.
    »Jason!«, schrie ich. Er hörte mich nicht.
    Ich lief auf sie zu. Einer der Jungen trat vom Baum weg und zog den Reißverschluss seiner Hose hoch, ein anderer trat an den Baum, ließ die Hose bis zu den Knien hinunter und begann zu pinkeln. Jemand bewegte sich und gab den Blick auf Jason frei. Seine Hände waren an den Baum gebunden. Der Junge pinkelte ihn an.
    »Jude! Jude! Jude! Jude!«, riefen sie.
    »Du bist der, der sich nach dem Tod sehnt!«, schrie einer von ihnen.
    »Hört auf!«, rief ich. Ich lief auf sie zu und warf mich auf sie. »Hört auf! Hört auf!«
    Hände zerrten an meiner Windjacke, sie wurde mir über den Kopf gezogen. Die Jungen stießen mich zwischen sich hin und her, leichte Schläge landeten auf meinem Rücken. Dann hörte ich die Trillerpfeife der Pausenaufsicht, und alle stoben auseinander. Ich zog mir die Jacke vom Kopf und sah zu Jason. Schlaff und uringetränkt hing er am Baum und weinte.
    Ich band ihn los. »Alles in Ordnung?«, fragte ich.
    Er schüttelte den Kopf und wollte mich noch nicht einmal ansehen.
    Am Nachmittag wurde ich ins Büro des Direktors zitiert und gebeten, die Namen der Beteiligten zu nennen. Die Jungen wurden vom Unterricht ausgeschlossen, und ich war in den kommenden Wochen der Paria, nachdem ich einem Juden zuliebe die anderen verpfiffen hatte.
    Jasons Eltern nahmen ihn schließlich von der Schule. Ich sah ihn nie wieder.
    Der Kawa kam, er wurde von Najat und zwei anderen Frauen auf einem Servierwagen hereingerollt. Als die Frauen den Tee auftrugen, erhob sich Sonny, entschuldigte sich bei Najat, gab meinem Vater die Hand und ging – ohne ein Wort zu Chatha. Während des folgenden (unbehaglichen) Geklimpers der Löffel und den schlürfenden Schlucken kam das Gespräch der Männer wieder auf Carter und Reagan zurück. Chatha versuchte Vater zu provozieren, indem er erneut das Thema Juden ansprach. Aber Vater war nicht mehr interessiert. Er schwieg.
    Auf dem Weg zum Wagen, vor der Heimfahrt, gerieten meine Eltern in Streit. Vater war sauer, dass Mutter ihn genötigt hatte, mitzukommen. Er setzte sich ans Steuer und knallte die Tür zu, und Mutter, die nicht neben ihm sitzen wollte, ließ mich vorne einsteigen. Auf der Rückfahrt durch die dichten Schneeflocken, die im Licht der Scheinwerfer herumwirbelten, brütete Vater vor sich hin. Er sagte nichts über den Streit zwischen den Männern, weder zu Mutter noch zu mir. Und ich saß neben ihm und machte mir Sorgen.
    Ich machte mir Sorgen um Jason. Denn wenn Chatha mit seinen Aussagen über die Juden recht hatte, dann hatten Jasons Probleme erst angefangen …

8
    UNABHÄNGIGKEITSTAG
    W ann fängt das Feuerwerk an?«, fragte Nathan Mutter.
    Wir saßen auf Klappstühlen am Rand des Football-Feldes der örtlichen High School, eine der wenigen Erhebungen in der näheren Umgebung und damit bevorzugter Aussichtspunkt, um sich das städtische Feuerwerk anzusehen. Wir kamen jedes Jahr mit unseren Tupperware-Behältern hierher, die mit pakistanischem Essen und Lassi gefüllt waren. Dieses Jahr war Nathan mit dabei.
    »Wenn es dunkel wird«, erwiderte Vater und biss von einer Samosa ab. »Hast du noch nie das Feuerwerk gesehen?«
    »Doch, Naveed. Ich habe mich nur gewundert. Ich meine, die Sonne geht doch schon unter.«
    »Sie fangen an, wenn sie eben anfangen, Nate.«
    »Da hast du recht.« Nathan sah in Richtung des Torpfostens, wo Imran mit einer neuen Actionfigur spielte, die Nathan ihm an diesem Abend geschenkt hatte. »Ich glaube, ihm gefällt die Figur«, sagte er zu Mina.
    »Sieht so aus«, erwiderte sie in einem hohen Singsang. Sie reichte ihm einen Plastikteller mit einem Berg weißen Reis und Rindercurry. »Willst du ein Lassi, Nate?«, fragte sie.
    »Aber immer doch.«
    Mina strahlte ihn an.
    Mehr und mehr fiel mir auf, dass Mina sich anders benahm, wenn Nathan in der Nähe war, dass ihr Verhalten etwas Gestelztes, Aufgesetztes bekam. Etwas Falsches. Ich konnte nicht nachvollziehen, was sie dazu bewegte.
    Mina hielt Mutter einen Becher hin. Mutter schenkte vom Joghurtgetränk ein und summte dabei vor

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