Himmelssucher - Roman
ungerecht erschienen. Wieder schrie ich, aber es half nichts. Ich wollte nicht verstehen, warum ich solche Schmerzen hatte. Ich musste an Souhef denken und hörte seine Stimme:
Wer bist du, dass du diese Schmerzen nicht verdient hättest?
»Haaayyyaaaat!«, brüllte meine Mutter oben auf der Treppe.
Das war das Letzte, woran ich mich erinnern konnte, bevor ich ohnmächtig wurde.
12
FIEBERTRÄUME
E s war ein schlimmer Bruch. Die Knochensplitter meines zertrümmerten Handgelenks mussten chirurgisch entfernt werden, und da der Orthopäde gerade ein Zeitfenster zur Verfügung hatte, beschlossen Vater und Nathan – den Vater angerufen hatte, als wir im Krankenhaus eintrafen –, dass es das Beste wäre, sofort zu operieren.
Die Stunden vor der Operation verbrachte ich in einem Dämmerzustand. Vor allem erinnere ich mich an die Schmerzen: ein durch und durch gehendes Stechen, das sich beim Einsetzen der Schmerzmittel zu einem brennenden Pochen abmilderte. Trotz der Medikamente waren die Schmerzen unerträglich. Ihr pulsierender Rhythmus schwoll an und flaute ab und schwoll wieder an. Niemals zuvor war mir das Vergehen der Zeit eindringlicher bewusst geworden als jetzt, da dieses fließende An- und Abschwellen jeden einzelnen Augenblick als etwas Gesondertes markierte – einmal als Schmerz, dann wieder als Erleichterung. Und während der ganzen Zeit fühlte ich mich ungerecht behandelt. Es war wie ein fauliger Geruch, den ich mühsam auszublenden versuchte. Also dachte ich an Souhef.
Wer bist du, dass du meinst, du hättest Besseres verdient? , hörte ich ihn sagen. Diese Schmerzen hat Allah für dich gewollt.
Die Worte waren mir Trost und verliehen mir Kraft. Als ich Nathan sah – er war sofort nach Vaters Anruf erschienen, beriet sich mit den Ärzten und tröstete Mutter –, redete ich mir ein: Ich kann meine Schmerzen annehmen. Ich bin nicht wie du.
In einem dunklen Krankenhauszimmer wachte ich auf, die Wände flackerten blau und weiß im Rhythmus der wechselnden Bilder eines Fernsehers, der leise in einer Ecke vor sich hin summte. Mutter saß in einem Lehnstuhl neben mir. Ich brauchte einen Moment, bis ich wusste, wo ich war. Dann erinnerte ich mich:
Der Sturz. Mein Handgelenk. Die Notaufnahme.
Ich sah auf meinen Arm, der nun vom Ellbogen abwärts in einem Gipsverband steckte. Er sah aus, als gehörte er nicht zu mir. Ich versuchte ihn zu bewegen. Sofort kamen sengende Schmerzen.
Mutter erhob sich, als sie mich stöhnen hörte, drückte sich an mich und hielt mich fest, was die Schmerzen nur verschlimmerte.
»Nicht, Mom. Es tut weh …«
»Gut, Kurban «, sagte Mutter und fing an zu weinen.
Ich schloss die Augen. Die Schmerzen klangen ab und gingen in ein dumpfes Pochen über. Ich fühlte mich erschöpft. Erschöpft von den flackernden Wänden, dem schmerzenden Arm, Mutters tränenüberströmtem Gesicht.
»Ich bin müde«, stöhnte ich.
»Schlaf wieder. Ruh dich aus«, sagte sie. »Ich liebe dich, Hayat. Ich liebe dich mehr als mein Leben.«
Ich schloss die Augen und spürte ihre Lippen auf meiner Stirn. Dann entfernte sie sich, ich drehte mich um und wartete darauf, dass ich wieder einschlief.
Als ich das nächste Mal aufwachte, schien sich das Zimmer in Licht aufzulösen. Vor mir war ein Tablett mit Essen, rechts von mir standen Vater und Mutter. Am Fußende des Bettes ein großer, glatzköpfiger, kugelbäuchiger Mann mit einem Stethoskop um den Hals. Seltsamerweise kam es mir so vor, als wäre er in ein weiches, weißes Licht getaucht.
»Wie geht es unserem Patienten?«, fragte der Mann vergnügt.
»Gut.«
»Hayat, du erinnerst dich an Dr. Gold?«, fragte Vater streng. Ich erinnerte mich an ihn vom Tag zuvor, wusste aber nicht mehr genau, wer er war. Mein Zögern irritierte Vater. »Er ist dein Chirurg. Er hat dein Handgelenk gerichtet.«
»Du bist ein tapferer junger Mann«, sagte Dr. Gold. »Ein vorbildlicher Patient. Deine Eltern sind sicherlich sehr stolz auf dich.«
»Oh, das sind wir«, beeilte sich Mutter hinzuzufügen.
»Also, wie geht’s dem Sportsfreund?«, fragte Gold.
Ich war verwirrt.
»Der Arm?«, erklärte er. »Wie benimmt er sich?«
Ich sah zum Gips. Der Arm tat weh, aber ich gewöhnte mich an die Schmerzen. Neu war nur das heftige Jucken unter dem Gips.
»Es juckt«, sagte ich und kratzte am Rand des Gipsverbands.
»Na, daran wirst du dich gewöhnen müssen«, sagte Gold. »Es kann darunter höllisch jucken. Vor allem unter dem neuen Zeug, das wir dir verpasst
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