Himmelssucher - Roman
haben … Aber du bist ein harter Junge. Habe ich gleich gesehen, so, wie du mit den Leuten umgegangen bist, als die sich gestern Abend an deinem Arm zu schaffen gemacht haben. Du packst das schon … Aber jetzt sag mir: Hast du noch Schmerzen?«
»Ein bisschen.«
Gold nickte und dachte über meine Antwort nach. Dann sah er auf das Klemmbrett in der Hand und notierte sich etwas. »Wir werden die Schmerzmittel etwas hochsetzen. Es gibt keinen Grund, warum er überhaupt Schmerzen haben muss …«
»Wie lange wollen Sie ihn noch hierbehalten?«, fragte Mutter.
»Höchstens zwei Tage. Vielleicht auch nur bis morgen. Mal sehen, was die Röntgenaufnahmen zeigen.«
Ich sah zum Seitentisch, auf dem ein großer Strauß gelber Rosen stand. Sie gaben das gleiche weiche Licht von sich wie der Arzt. Verblüfft starrte ich sie an, und je länger ich es tat, umso weiter schienen sich die Rosen zurückzuziehen, bis sie in einem durchscheinenden Glühen verschwanden.
»Die sind von deiner Tante. Sie macht sich solche Sorgen um dich …«, sagte Mutter und beendete den Satz nicht. Verstohlen warf sie einen beinah ängstlichen Blick zu Vater, dann trat sie vor und legte mir die Hand auf die Stirn. »Er ist immer noch ein wenig heiß«, sagte sie.
»Das Schlimmste ist überstanden«, sagte Gold. »Das Fieber geht schon zurück. Das ist normal nach einer OP .«
»Dann geht es ihm gut?«
»Es könnte ihm nicht besser gehen … unter den Umständen, natürlich.« Gold lachte, dann wandte er sich an mich. »Also, hör mir zu. Wir werden noch mal röntgen … vielleicht heute noch. Wir werden es so vorsichtig wie möglich machen, aber ich wollte es nur mal gesagt haben, damit du Bescheid weißt, okay?«
Ich nickte. Dr. Gold drehte sich zu meinen Eltern um. »Kein Grund zur Sorge. Ich werde ihn mir heute noch mal ansehen.«
»Hayat. Bedanke dich bei Dr. Gold«, sagte Mutter.
»Danke, Dr. Gold.«
»Keine Ursache, junger Mann. Ruh dich aus«, sagte er und tätschelte mir das Bein. Dann gab er Vater die Hand und verließ das Zimmer.
Alles, worauf ich meinen Blick richtete, schien sich in einem transparenten Nebel aufzulösen. Sogar Vater und Mutter schienen in diesem sonderbaren und angenehmen Licht zu verschwinden.
Vater räusperte sich. »Hayat …«
»Naveed, bitte«, unterbrach Mutter.
»Was?«, blaffte er. »Du weißt doch gar nicht, was ich sagen will …«
»Ach nein?«, blaffte Mutter zurück. »Als hättest du mich nicht schon die ganze Zeit damit gequält. Du kannst es ja kaum erwarten. Und trotzdem bin ich der Meinung: Jetzt ist nicht der richtige Zeitpunkt dafür.«
Vater beachtete sie nicht. »Der Mann, der dich operiert hat, Hayat … Dr. Gold. Du weißt, dass er Jude ist?« Er deutete mit dem Zeigefinger auf mich, als er fortfuhr. »Wenn du also das nächste Mal wieder meinst, du müsstest über Juden herziehen, dann vergiss nicht zu erwähnen, dass ein Jude deinen Arm gerichtet hat. Wenn nicht, würdest du mit dieser Hand nämlich nie wieder einen Ball werfen oder schreiben können!«
»Naveed, was soll das?«, schaltete sich Mutter dazwischen. »Bist du betrunken?«
Vater sah sie finster an, bevor er den Blick wieder auf mich richtete. »Noch etwas, worüber du und deine Mutter einmal nachdenken könnt …«, sagte er mit zitternder Stimme. »Wenn ich dich noch einmal mit diesem Buch erwische, dann kannst du was erleben. Glaub mir.«
Ich wollte ihn schon fragen, welches Buch er meinte, aber Mutter ging auf ihn los. »Raus!«, schrie sie. »Raus mit dir!« Schließlich schob sie ihn aus dem Zimmer.
Ich drehte mich von der Tür weg, mein Blick blieb an dem Lehnstuhl hängen, auf dem in der Nacht zuvor Mutter gesessen hatte. Er war braun und beige, der Bezug war abgewetzt. Auch er war in dieses durchscheinende Licht getaucht. Egal, wohin ich sah, alles verlor sich in diesem hauchdünnen, zarten Licht, einem Licht, das nichts mit der harten Helligkeit der Morgensonne zu tun hatte, die durch die halb zugezogenen Vorhänge sickerte, und auch nichts mit dem bläulich-weißen Schimmer der fluoreszierenden Deckenröhren. Es kam mir noch nicht mal wie ein Licht vor, das etwas erhellte, sondern wie etwas ganz Eigenes. Ich sah mich um: die Laken auf meinem Bett, die nackten grau-weißen Wände, die Blumen und die dunkelbraune Oberfläche des Tisches, auf der sie standen. Die Wirkung beschränkte sich nicht nur auf das, was zu sehen war, denn in dem Licht lag auch eine Stille. Und in dieser glühenden, erhellenden
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