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Himmelstal

Himmelstal

Titel: Himmelstal Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Marie Hermanson
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Effekt. Seine Sinne stumpften ab, eine milde Gleichgültigkeit breitete sich aus, und er war fast schon wieder eingeschlafen, als die Wache wiederkam und ihn zu einem Duschraum brachte, er bewegte sich wie in Zeitlupe dorthin.
    »Wir sind nicht unter der Erde. Wir sind unter Wasser«, dachte er, als er durch den Korridor glitt, frisch geduscht und in dem schwarz-weißen Trainingsanzug, den auch die andern Patienten trugen.
    Sein Körper und auch seine Gedanken schwammen gleichsam vorwärts.
    Vor ihm ging eine magere Gestalt mit rasiertem Kopf. Wie Daniel wurde auch er von einer Wache geführt. Der Mann bewegte sich ruckartig und blieb immer wieder stehen und gab Kommentare ab.
    »Ruhig und nett hier. Bisschen zu eng. Hier könnte man es etwas breiter machen.«
    Er blieb stehen und schlug an die Wände. Die Wache wartete geduldig. Auch Daniel und sein Begleiter mussten stehen bleiben, weil der Mann den Korridor blockierte.
    »Und diese hässlichen Menschen da drinnen«, fauchte der Magere und zeigte auf eines der runden Fenster, wo ein Mann das Gesicht verzog und mit einer Hand lautlos an das Glas schlug. »Ich halte sie nicht mehr aus. Setzt
doch schöne Leute rein. Geile Bräute. Das wär's doch, oder?«
    Er drehte sich zu Daniel um. Es war Tom, der gewalttätige Holzschnitzer. Er lächelte ihn freundlich an, ehe die Wache ihn weiterzog. Kurz darauf war Daniel wieder in der Zelle, und ein wenig später standen drei Personen in der Tür seiner Zelle: Doktor Fischer, der indische Arzt und ein Mann in Jeans und Hemd, den Daniel erst nicht erkannte, weil er seine Baseballkappe nicht aufhatte.
    »Guten Morgen«, sagte Doktor Fischer. »Ich hoffe, du hast gut geschlafen. Wir werden dir ein paar Proben entnehmen. Du kannst so liegen bleiben. Bitte den Ärmel hochkrempeln. Du wirst es kaum spüren, Doktor Kalpak ist sehr geschickt. Ich komme gleich wieder. Ich bringe nur Mr. Jones nach draußen.«
    Der indische Arzt strich mit zwei weichen Fingerspitzen über Daniels Armbeuge und senkte dann die Kanüle in die Ader. Es fühlte sich warm an und kribbelte, als das Blut herausfloss und elegant von Doktor Kalpak in einem kleinen Röhrchen aufgefangen wurde.
    Mehrere Röhrchen mit dunklem, fast schwarzem Blut waren gefüllt und in einem Gestell untergebracht worden, als Doktor Fischer wiederkam. Der indische Arzt stöpselte die Röhrchen zu, klebte ein Pflaster auf Daniels Arm und entfernte sich mit einer diskreten Verbeugung.
    »Doktor Kalpak ist mein persönlicher Chirurg. Unglaublich geschickt. Seine Schwester ist Sologeigerin im London Symphony Orchestra«, sagte Doktor Fischer.
    »Wer war der andere Mann?«, fragte Daniel.
    »Mr. Jones, meinst du?«
    »Ja, ist er auch Arzt?«
    »Er ist einer der größten Sponsoren von Himmelstal.«
    Daniel setzte sich auf. Die Tabletten hatten ihn ruhig und furchtlos gemacht.
    »Er ist Amerikaner, nicht wahr? Es geht das Gerücht, dass er von der CIA geschickt wurde.«
    Doktor Fischer zuckte mit den Schultern.
    »Es gibt viele Gerüchte im Tal.«
    »Und in den meisten ist ein Körnchen Wahrheit enthalten. Was ist das eigentlich für ein Ort? Was macht ihr mit all den Menschen, die hier eingesperrt sind?«
    »Ihnen helfen.«
    »Helfen?«
    »Und nicht nur den Menschen hier . Mein Ziel ist es, allen Menschen zu helfen.«
    Daniel hätte fast laut gelacht. Doktor Fischer war offenbar richtig wahnsinnig.
    »Wie denn?«
    »Das will ich dir gerne erklären, Daniel. Aber ich schlage vor, dass wir dazu in meine kleine Wohnung gehen. Jetzt, wo Doktor Kalpak dir Blut abgenommen hat, kannst du ein Frühstück bekommen. Ich habe selbst noch nichts gegessen. Wie wäre es mit Tee und etwas Toast?«
    Daniel hätte alles dafür gegeben, die übel riechende Zelle zu verlassen, und sei es auch nur für einen Moment, er nahm deshalb das Angebot dankbar an.
     
    Doktor Fischer zog den Samtvorhang vor die Stahltür und machte die Lichter in der gemütlichen kleinen Wohnung an. Der Korridor mit den hermetisch verschlossenen Zellen schien nicht mehr zu existieren, obwohl sie sich gerade noch dort befunden hatten.
    Doktor Fischer machte eine einladende Geste, und Daniel sank in den gleichen Sessel, in dem er am Abend zuvor gesessen hatte. Während der Doktor Toast machte und den kleinen Tisch deckte, hatte er plötzlich das Gefühl, dass er in ebendiesem Sessel die ganze Nacht verbracht hatte und die Ereignisse der Nacht und des Morgens nur
ein schlimmer Alptraum waren. Aber sein schwarz-weißer Trainingsanzug und

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