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Himmelstal

Himmelstal

Titel: Himmelstal Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Marie Hermanson
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sogar besser zurecht. Als Art, meine ich natürlich. Bestimmte Individuen würden natürlich untergehen, das ist der Preis der Evolution.«
    Er schlürfte noch ein wenig Tee, und Daniel ergriff die Gelegenheit, um etwas anzumerken.
    »Wenn ich Sie richtig verstehe, Doktor Fischer, sind Sie also nicht daran interessiert, Psychopathen zu heilen ? Sie betrachten ihr mangelndes Gewissen eher als Vorteil ?«
    »Ich betrachte die Psychopathen anders als die anderen Forscher hier in Himmelstal, das ist richtig«, sagte Doktor Fischer und nickte ernst. »Um weiterhin in evolutionären Begriffen zu sprechen: Psychopath ist nicht gleich Rückkehr auf ein früheres, primitiveres Stadium, wie manche glauben. Im Gegenteil. Diese Anomalie entsteht aus dem gleichen Grund wie alle anderen Anomalien: Die Natur probiert neue Modelle aus. Wenn sie funktionieren, dann überleben sie und bringen neue Individuen des gleichen Modells hervor. Es ist eine Tatsache, dass die Anzahl diagnostizierter Psychopathen in Europa jährlich zunimmt. Als Himmelstal mit seiner Arbeit begann, mussten wir Studienmaterial suchen. Heute ertrinken wir in Anfragen aus allen europäischen Ländern. Wir können nur einen Bruchteil all der Menschen aufnehmen, die man hier unterbringen will. Aus einem evolutionären Gesichtspunkt ist das Psychopathenmodell also ein Fortschritt.«
    »Ich kann keine evolutionären Vorteile darin sehen, dass die Zahl von Mördern, Vergewaltigern und Dieben zunimmt«, protestierte Daniel.
    »Nein, das ist kein Vorteil, da hast du völlig recht. Himmelstal ist überschwemmt von impulsiven Gewaltidioten. Den meisten Psychopathen fehlt nämlich nicht nur das Gewissen. Sie haben auch keine Geduld, keine Ausdauer und keine Selbstkontrolle, sie sind deshalb für die meisten Aufgaben nicht zu gebrauchen. Was diverse Mafiabosse und Terroristenführer schon oft genug beklagt haben. Deren Traum ist der lenkbare Psychopath. Gefühllos, aber absolut loyal gegenüber dem Auftraggeber. Furchtlos, aber vorsichtig, wenn es sein muss. Intelligent, aber ohne eigene Kreativität. Kurz gesagt: ein Roboter. Du kannst dir vorstellen, wie brauchbar so ein Geschöpf in bestimmten Situationen wäre.«
    Karl Fischer machte eine Pause und schaute Daniel viel
sagend an, als wolle er kontrollieren, ob dieser seinem Gedankengang folgen könne. Daniel nickte ernst und sagte:
    »Kann man so ein Geschöpf erschaffen?«
    Fischer öffnete die Handflächen.
    »Vielleicht.«
    »Ist Mr. Jones deswegen hier? Arbeiten Sie für die CIA ?«
    »Die CIA lebt in diesem Glauben, ja.« Doktor Fischer grinste. »Amerikaner! Die bilden sich ein, ich könnte menschliche Missiles erschaffen, die sie in einem ihrer Kriege einsetzen können. Und solange sie ihre Dollars nach Himmelstal pumpen, werde ich sie in diesem Irrglauben lassen. Wir hätten uns ohne ihr Geld nie so entwickeln können. Meine eigene Forschungsabteilung zum Beispiel.« Er machte eine Handbewegung in Richtung Vorhang, durch den sie gekommen waren. »Ohne die großzügige Spende von Mr. Jones wäre sie nie zustande gekommen. Deshalb muss ich mich damit abfinden, dass er hier unten in den Gängen umherflitzt wie ein Kaninchen. Ich lasse ihn an manchen Experimenten teilnehmen und stecke ihm hin und wieder kleine geheime Forschungsberichte zu. Natürlich hat er keine Ahnung, was ich eigentlich mache. Er glaubt, ich zähme Bestien. Was falsch ist. Mein Projekt ist viel größer.«
    »Und was ist Ihr Projekt?«
    »Der glückliche Mensch. Eine Welt ohne Leiden«, sagte Doktor Fischer mit einem leichten Schulterzucken.
    »Und wie wollen Sie das erreichen?«
    »Das Unglück der meisten Menschen ist, dass sie mehr Gefühle haben, als sie brauchen.«
    »Sie wollen also die Gefühle der Menschen abschalten?«, rief Daniel aus. »Sie wollen alle zu Psychopathen machen? Ist das Ihr Ziel?«
    Trotz der Tabletten war er so empört, dass es ihn kaum auf dem Sessel hielt.
    Karl Fischer legte eine feste Hand auf Daniels Hand und sagte:
    »Lass mich zu Ende reden. Ich will nichts ausschalten. Ich will nur ein wenig herunterdrehen.«
    Er drückte Daniels Hand ein wenig und lächelte beruhigend, dann ließ er sie los und fuhr fort:
    »Als ich während meiner Ausbildung in einer psychiatrischen Praxis arbeitete, war ich erstaunt darüber, wie viel Schuldgefühle die Patienten mit sich herumschleppten. Oft völlig sinnlose Schuldgefühle. Wegen Dingen, für die man nichts kann. Schuldgefühle wegen etwas, für das es zu spät ist. Qualvolle

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