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Himmelstal

Himmelstal

Titel: Himmelstal Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Marie Hermanson
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der zweite die Heckklappe ihres Busses öffnete. Die Scheibe zwischen Vorder- und Rücksitz war immer noch geschlossen, so dass Daniel nicht hören konnte, was gesprochen wurde. Er öffnete die Seitenscheibe und lauschte. Der Mann sprach freundlich mit dem Fahrer, sie unterhielten sich offenbar über das Wetter. Er sprach einen Dialekt, der schwer zu verstehen war.
    Dann beugte er sich zu Daniel und bat ihn um seinen Ausweis. Daniel reichte ihm seinen Pass. Der Mann sagte etwas, das er nicht verstand.
    »Sie können aussteigen«, übersetzte der Fahrer, der sich zu ihm umgedreht und die Trennscheibe geöffnet hatte.
    »Ich soll aussteigen?«
    Der Fahrer nickte auffordernd.
    Daniel stieg aus. Sie standen ganz nahe an der Felswand, die mit Moos und Tüpfelfarn bedeckt war, an manchen Stellen gluckerten kleine Rinnsale. Der Geruch vom Fels war kühl und säuerlich.
    Der Mann hatte einen Metalldetektor, den er an Daniels Körper entlangführte.
    »Sie haben eine weite Reise hinter sich«, sagte er freundlich und gab ihm seinen Pass zurück.
    Der Kollege stellte Daniels Koffer, den er offensichtlich durchsucht hatte, wieder in den Bus und schloss die Klappe.
    »Ja, ich bin heute morgen in Stockholm abgeflogen«, antwortete Daniel.
    Einer der Männer beugte sich ins Auto, fuhr mit dem
Metalldetektor über den Rücksitz und zeigte dann mit einer Geste, dass er fertig war.
    »Sie können wieder einsteigen«, sagte der Fahrer und nickte Daniel zu.
    Der Mann salutierte, die Schranke ging auf, und sie fuhren weiter.
    Daniel beugte sich vor, um dem Fahrer eine Frage zu stellen, aber der kam ihm zuvor.
    »Routinekontrolle. Schweizerische Gründlichkeit«, sagte er und ließ mit einem Knopfdruck die Scheibe wieder vor Daniels Nase zugleiten.
    Durch das offene Seitenfenster sah er die moosige Felswand vorbeirasen, sie warf das Motorengeräusch zurück und verstärkte es.
    Er rutsche auf dem Sitz hin und her und schloss die Augen. Die Kontrolle hatte ihn verschreckt. Er wusste, dass er nicht auf einer Vergnügungsreise war. Wenn Max sich nach so vielen Jahren wieder bei ihm meldete, ging es um etwas Wichtiges. Max brauchte ihn.
    Die Erkenntnis beunruhigte ihn. Wie sollte er seinem Bruder helfen können? Max war, das musste er nach all den Jahren betrogener Hoffnung einsehen, nicht zu helfen.
    Er tröstete sich damit, dass er mit dieser Reise immerhin seinen guten Willen zeigte. Er kam, wenn Max ihn rief. Er würde ihm zuhören, für ihn da sein. Und nach ein paar Stunden würde er wieder abreisen. Mehr als das würde bei diesem Besuch nicht herauskommen.
    Der Bus machte eine Linkskurve. Daniel öffnete die Augen. Er sah Bergwiesen, Tannenwald und weiter weg ein Dorf und einen Kirchturm. In einer Gärtnerei arbeitete eine Frau gebückt in einem Meer von Dahlien. Sie richtete sich auf, als der Wagen näher kam, und winkte mit einem kleinen Spaten.
    Der Fahrer bog in eine kleine Straße ein, die den Hügel hinaufführte. Sie fuhren durch Tannenwald, der Weg wurde steiler.
    Kurz danach sah Daniel die Klinik, ein gewaltiges Gebäude aus dem 19. Jahrhundert, mitten in einem Park. Der Fahrer fuhr bis zum Eingang, holte Daniels Koffer und öffnete ihm die Tür.
    Die hereinströmende Luft war klar und von einer Schärfe, die seine Lungen vor Überraschung zittern ließ.
    »Da wären wir.«

 
    4  Max und Daniel waren eineiige Zwillinge, aber es hätte nicht viel gefehlt und ihr Geburtstag wäre nicht auf den gleichen Tag gefallen. Als ihre Mutter, eine achtunddreißigjährige Erstgebärende, sich nach zehn Stunden harter Geburtsarbeit endlich von dem einen Zwilling befreit hatte, war der andere, Max, immer noch drinnen und wollte da offenbar auch noch eine Weile bleiben. Es war spät am Abend, und die Hebamme, die allmählich auch müde war, seufzte und sagte zu der erschöpften Mutter: »Es sieht so aus, als müssten Sie zwei Geburtstagsfeste für diese Kinder ausrichten.«
    Während Daniel gewaschen und gewogen wurde und dann brav in einem kleinen Bettchen einschlief, holte der Arzt die Saugglocke, die jedoch den widerspenstigen, sich entziehenden Bruder nicht zu fassen bekam, und sich stattdessen an den inneren Organen der Mutter festsaugte, die dadurch beinahe umgestülpt worden wäre wie ein Pullover. Als die Saugglocke schließlich da war, wo sie hingehörte, schien Max einzusehen, dass es ernst war, er fügte sich und machte den ersten von vielen Schnellstarts, mit denen er später seine Umgebung überraschen sollte.
    »Jetzt haben

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