Himmelstal
getötet. So was spürt man doch, oder?«
Er lehnte sich zurück und betrachtete Daniel mit neu erwachtem Interesse.
»Wenn du diese Frisur behalten willst, ist bald wieder Zeit für einen Haarschnitt. Ich gehe davon aus, dass du dich dieses Mal einem Fachmann anvertraust. Und was ist denn das? Rasierst du dich nicht mehr?«
Der Friseur strich ihm leicht über die Wange. Daniel musste sich beherrschen, um die Hand nicht wegzuschlagen.
»Das gefällt mir«, murmelte er.
»Willst du dir einen Bart wachsen lassen? Auch ein Bart braucht Pflege. Genau wie eine etwas längere Frisur.«
Er lächelte und fuhr Daniel in einer freundschaftlichen Geste durch die Haare, hielt dann plötzlich inne und ließ die Hand auf seinem Kopf liegen.
»Was ist das?«, sagte er, stand auf und beugte sich über Daniels Kopf. »Soweit ich mich erinnere, warst du im Uhrzeigersinn.«
»Was?«, fragte Daniel verwirrt.
»Dein Wirbel war im Uhrzeigersinn. Und jetzt gegen den Uhrzeigersinn. Hm«, sagte er und setzte sich wieder hin. »Ich täusche mich wohl. Das kommt davon, wenn man seinem Friseur untreu wird.«
Er lachte laut.
Ein paar Leute setzten sich an den Tisch nebenan. Der Friseur drehte sich zu ihnen um.
»Wie ich sehe, habt ihr die Lasagne genommen. Ganz recht. Es gibt keinen Grund, ins Restaurant zu gehen, wenn man im Speisesaal so gutes Essen bekommt, nicht wahr?«
Daniel nahm die Gelegenheit wahr und stand auf. Er machte sich auf den Weg zur Geschirrrückgabe, am liebsten wäre er gerannt.
37 Daniel hatte die Vorhänge zugezogen und wartete auf die Nachtpatrouille. Er war müde und las ein Buch, um sich wach zu halten. Eigentlich brauchte er nicht aufzubleiben und zu warten. Sie hatten ja einen eigenen Schlüssel, und wenn er früh zu Bett ging, schlossen sie selbst auf und kontrollierten schnell und diskret, ob er hinter dem Bettvorhang war. Aber er fand es immer unangenehm, wenn der Vorhang weggezogen wurde und der Strahl der Taschenlampe über die Wände der Schlafkoje glitt. Er zog es vor, selbst die Tür zu öffnen, und die Nachtpatrouille angezogen zu empfangen.
Er musste sehr müde gewesen sein, denn er hatte das Surren des Elektroautos nicht gehört, das feste und rhythmische Klopfen überraschte ihn. Eine Mädchenstimme rief schrill und fröhlich, wie in alten Schlagern aus den sechziger Jahren:
»Hallo, hallo, jemand zu Hause?«
Er wusste, dass es die kleine dunkelhaarige Hostess war. Sie klopfte immer so und rief immer das Gleiche. Mit einem müden Lächeln ging er zur Tür und öffnete.
Draußen stand Samantha, sie trug Kniebundhosen und eine Bluse, die unter der Brust geknotet war. Er zog die Tür zu, eine Sekunde nachdem er sie geöffnet hatte, aber das war eine Sekunde zu spät. Sie hatte schon den Fuß dazwischen und glitt herein wie eine Katze.
»Reingelegt«, lachte sie, setzte sich in einen Sessel, schlug die Beine über die Armlehne und holte eine Zigarette aus der Handtasche.
»Du musst wieder gehen«, sagte er. »Die Nachtpatrouille kann jeden Moment kommen.«
Sie schüttelte heftig den Kopf und versuchte ihr Feuerzeug zum Brennen zu bekommen.
»Sie fangen heute unten im Dorf an. Sie kommen frühestens in zwanzig Minuten. Einen Quickie schaffen wir«, sagte sie und ließ die Zigarette an der Unterlippe schaukeln. Noch einmal probierte sie, sie anzuzünden, aber das Feuerzeug hatte den Geist aufgegeben. »Scheiße. Hast du Streichhölzer?«
»Bitte geh jetzt«, sagte er.
Sie hatte am Kamin Streichhölzer gefunden, zündete ihre Zigarette an und kam langsam mit wiegenden Hüften und einem trägen Lächeln auf ihn zu. Sie hatte etwas Unangenehmes, Übertriebenes, Unkontrolliertes. Als sie näher kam, sah er an ihren Augen, dass sie etwas genommen hatte.
»Hi, Lämmchen«, sagte sie zärtlich und strich ihm über die Wange. »Ich habe dich lange nicht gesehen. Du hast es diesem Tom gezeigt, habe ich gehört. Das war mutig.«
»Ich musste etwas tun«, murmelte Daniel und trat einen Schritt zurück.
»Du hast ihm die Hand kaputt getreten, Liebling. Die Leute im Tal reden darüber. Ich glaube, du brauchst keine Angst vor irgendwelchen Racheaktionen zu haben. Tom ist nicht sehr beliebt. Alle wissen, dass er ein Idiot ist. Er hat bloß Brei hier drinnen.«
Sie tippte sich an den Kopf und verzog das Gesicht.
»Aber Tom hat sich wohl kaum gefreut. Du wirst Probleme kriegen, wenn das Holz geliefert wird. Vielleicht musst du im Winter frieren, die Gefahr besteht.«
Winter? Der Gedanke, dass
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