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Himmelstal

Himmelstal

Titel: Himmelstal Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Marie Hermanson
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funktionieren nicht wie Brieftauben. Sie sind allen anderen Vögeln überlegen, was das Sehen und die Fluggeschwindigkeit angeht. Aber es fehlt ihnen der phantastische Orientierungssinn der Tauben.«
    »Aha«, sagte Daniel enttäuscht. »Es war nur so ein Gedanke. Hast du eine bessere Theorie?«
    Corinne öffnete den Mund, hielt dann jedoch inne.
    »Wir bekommen vornehmen Besuch«, sagte sie und deutete Richtung Restauranteingang.
    Vier Personen waren gerade gekommen und von der Kellnerin zu einem reservierten Fenstertisch gebracht worden. Daniel erkannte Doktor Fischer, Doktor Pierce und den indischen Arzt. Den vierten Mann, der eine Baseballkappe trug, kannte Daniel nicht.
    »Wahrscheinlich ein Gastforscher«, sagte Corinne. »Es ist mal wieder eine Gruppe hier.«
    »Die, die uns heute aus dem Safari-Auto beobachtet haben?«
    Corinne nickte.
    »Aber der da scheint noch nicht zufrieden zu sein. Er will sehen, wie die Tiere gefüttert werden«, sagte sie bitter. »Das ist immer sehr beliebt. Schade, dass wir schon fertig sind. Wären sie zehn Minuten früher gekommen, hätten sie zuschauen können, wie wir ein Reh verschlingen.«
    Daniel warf einen Blick auf den Mann mit der Baseballkappe, der eifrig die Speisekarte studierte.
    »Er ist mehr an seinem eigenen Essen interessiert«, sagte er und fuhr mit leiser Stimme fort. »Was wolltest du sagen? Wie die Drogen hereinkommen?«
    »Wir sind in einem Krankenhaus, nicht wahr? In einem Krankenhaus gibt es Medikamente. In einer Psychiatrie
gibt es Medikamente, die die Psyche beeinflussen. Ich glaube, dass dort irgendwo die Antwort ist.«
    »Aus dem Krankenhaus? Meinst du, dass das Personal mit Drogen dealt? Oder dass ein Bewohner sie stiehlt?«
    Sie zuckte mit den Schultern.
    »Es kann das Personal sein oder die Bewohner. Sie könnten zusammenarbeiten.«
    »Aber ich habe gehört, dass man hier Kokain kaufen kann. Das ist wohl kaum ein Medikament«, wandte Daniel ein.
    »Hier kommen ständig Transporte mit legalen Drogen an. Vielleicht merkt man es nicht, wenn ein paar illegale dazwischen sind.«
    »Dann muss jemand vom Personal involviert sein. Hast du jemanden im Verdacht?«
    »Nein. Es kommt drauf an, was für ein Motiv man hat. Geld ist natürlich naheliegend. Aber man könnte sich auch andere Gründe denken, warum jemand Drogen im Tal haben will.«
    »Wie zum Beispiel?«
    »Akademischer Ehrgeiz. Brian Jenkins, der rothaarige Soziologe, könnte einpacken und nach Hause fahren, wenn das Tal drogenfrei wäre. Seine Studie über den Einfluss von Narkotika auf die soziale Struktur wäre wertlos, und seine Forschungsmittel würden eingezogen.«
    »Er könnte sein Thema abwandeln zu ›Himmelstal mit und ohne Drogen‹«, schlug Daniel vor. »Gibt es noch andere Motive?«
    »Liebe«, sagte Corinne. »Psychopathen können sehr charmant sein. Man könnte sich eine Liebesbeziehung zwischen einem Bewohner und einer Hostess vorstellen. Oder zwischen einem Bewohner und einer Krankenschwester.«
    Die Gesellschaft am Fenstertisch hatte ihre Getränke
bekommen. Sie prosteten sich zu, und der Mann mit der Baseballkappe, der offenbar Amerikaner war, erzählte eine Geschichte, die die anderen zum Lachen brachte.
    »Die Hostessen arbeiten immer zu zweit«, gab Daniel zu bedenken. »Damit so etwas nicht passiert. Die Schwestern sind auch nie allein mit einem Patienten.«
    »Ja, in der Theorie. Aber nicht in der Praxis, das weißt du selbst. Du warst doch bestimmt mal allein mit einer Schwester, als du wegen deiner Brandverletzungen behandelt wurdest? Und wer weiß, was du und Gisela in ihrem Sprechzimmer gemacht habt?«
    Daniel lächelte.
    »Du hast recht. Das ist eine Möglichkeit.«
    Aber er dachte immer noch an die Falken, die über die Berge herein- und hinausflogen, völlig frei und unkontrolliert.
    Sobald sie im Freien waren, spürte Daniel, dass etwas passiert war oder gleich passieren würde.
    Im Park herrschte diese besondere, aufgeladene Stimmung, die er während seines Aufenthalts in Himmelstal schon öfter erlebt hatte. Die Leute standen in kleinen Gruppen in der Dunkelheit und sprachen leise und aufgeregt miteinander. Ein Elektroauto bremste drüben beim Fußweg, Pater Dennis streckte seinen Kopf heraus, wie ein scheues, aber neugieriges Tier, das aus seiner Höhle schaut.
    Dann hörte man Motorenlärm von der Straße. Scheinwerfer blendeten die versammelten Menschen, und ein Transporter fuhr in raschem Tempo auf das Klinikgelände zu und hielt vor dem Krankengebäude an.

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