Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Himmelstal

Himmelstal

Titel: Himmelstal Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Marie Hermanson
Vom Netzwerk:
läuteten, die Töne stiegen hinauf und klangen da oben in der Luft heller und klarer.
    Dann merkte er plötzlich, dass die Engel nicht mehr weiß, sondern dunkel waren. Sie hatten sich in große Raubvögel verwandelt und kreisten in großen Runden und spähten hinunter zum Talboden. Statt Wasser floss nun gelber, zähflüssiger Eiter im Flussbett, die Raubvögel spähten nicht nach Mäusen oder kleinen Vögeln, sondern nach riesigen weißen Würmern, die sich im Gras wanden.
    Ja klar, so war es natürlich, dachte Daniel im Traum. Er war eigenartig ruhig, als ob das Unangenehme, das er da sah, ihn nicht beängstigte, sondern ihn nur in seinem Verdacht bestärkte.
    Und das helle Läuten kam ja auch nicht von den Kirchenglocken – wie hatte er das nur glauben können? –, sondern es kam von den Glöckchen, die den Vögeln mit Lederbändchen um die Füße gebunden waren.
    Im gleichen Moment wurde ihm noch etwas klar, und
diese Erkenntnis war so stark, dass sie ihn aus dem Schlaf riss.
    Er machte die Lampe in seiner kleinen Schlafkoje an, nahm das Handy vom Wandregal und schrieb eine Mitteilung an Corinne.

 
    41  »Ich glaube, ich weiß, wie es funktioniert«, sagte Daniel leise und beugte sich über den Tisch.
    Sie saßen im Restaurant im zweiten Stockwerk des Hauptgebäudes. Sie hatten gerade ihr Abendessen beendet, Rehfilet mit Waldpilzen.
    Die Kellnerin kam mit einem Tablett zu ihrem Tisch. Sie schenkte Kaffee ein und stellte einen Teller mit Schokoladentörtchen hin – genau die gleichen Schokoladentörtchen, die Gisela Obermann ihm angeboten hatte, als er in ihrem Zimmer war.
    Als die Kellnerin sich umdrehte, kam ihm eine andere Erinnerung. Wie Max ihr auf den breiten Hintern gehauen hatte. Damals, vor etwa einem Monat – war es nicht länger her? –, als Daniel noch glaubte, dass Himmelstal eine Luxusklinik und die Kellnerin mit dem breiten Hintern eine ehrbare Frau aus einem Alpendorf war. Jetzt wusste er, dass sie aus Holland stammte, und sie hatte ihren Mann in den Schutzkeller der Villa gelockt, die Tür verrammelt und den Mann dort verhungern lassen, während sie oben in der Wohnung vor dem Fernseher saß.
    »Und wie? Wer bringt die Drogen herein?«, fragte Corinne, als die Kellnerin in der Küche verschwunden war. 
    »Jemand, der ins Tal kommen und es verlassen kann, ohne sich um elektrische Zonen, Wachen oder Drogenhunde scheren zu müssen.«
    »Und wer könnte das sein?«
    »Die Falken.«
    Sie schaute ihn misstrauisch an und drückte die Serviette an die Lippen.
    »An einem meiner ersten Tage hier traf ich einen Mann mit einem zahmen Falken«, fuhr Daniel mit leiser Stimme fort.
    »Adrian Keller«, sagte Corinne und goss Milch in ihren Kaffee.
    »Kennst du ihn?«
    Sie nickte.
    »Er wohnt in einem abseits gelegenen Haus ganz hinten im Tal. Er war Geldeintreiber für die kolumbianische Drogenmafia. Völlig rücksichtslos. Angeblich hat er mehrere Jahre bei einem Indianerstamm im Dschungel verbracht. Er lebt ganz für sich, setzt niemals einen Fuß ins Dorf oder auf das Klinikgelände. Sich seinem Haus zu nähern ist lebensgefährlich. Er hat überall Fallen aufgestellt. Nur das Lieferauto des Ladens und die Patrouillen fahren hin. Sie trauen sich kaum, auszusteigen. Ja, er hat Falken. Er jagt mit ihnen. Die Klinikleitung gestattet es, weil es ihm so viel bedeutet. Er ist wie besessen von der Jagd. Manchmal muss man so arbeiten, sagt Gisela. Das Böse in ein ungefährliches Hobby kanalisieren.«
    »Es ist vielleicht ein ziemlich einträgliches Hobby? Ich habe neulich gelesen, dass die Alliierten Falken verwendeten, um die Brieftauben der Deutschen zu vernichten. Das funktionierte nicht besonders gut, weil die Falken keine Unterschiede machten zwischen deutschen und alliierten Brieftauben, sie töteten sie alle. Aber mir kam die Idee, dass die Falken vielleicht selbst als Brieftauben eingesetzt werden können. Sie sind dressiert, sie kehren immer zu ihrem Besitzer zurück. Wenn also beispielsweise Keller draußen einen Kontakt hat und ein Falke über die Berge zu diesem Kontakt fliegt und dieser ein kleines Päckchen am Fuß des Falken befestigt, ehe er wieder zurückfliegt?«
    Daniel klang aufgeregt, aber Corinne schüttelte den Kopf.
    »Die Klinikleitung hat sich darüber auch schon Gedanken gemacht. Man hat sich bei Ornithologen und Falknern erkundigt. Alle sagen das Gleiche: Es ist nicht mög
lich. Falken sind als Überbringer von Nachrichten oder Gegenständen nicht einsetzbar. Sie

Weitere Kostenlose Bücher