Himmelstiefe
Als wenn wir nicht schon genug Probleme hätten.“
Sie war unglaublich hübsch, unglaublich zierlich und ging mir nicht mal bis zur Schulter. Ihr weißes Haar floss bis um ihre Knöchel. Sie trug ein durchsichtiges Gewand, das schimmerte wie der See. Von der Form her verbarg er einen menschlichen Körper, aber man sah den Körper nicht. Hinter ihr sprangen einzelne Flammen über die Wasseroberfläche und schienen nach ihr zu greifen. Ich konzentrierte mich und löschte die Aureole um mich. Ich war vollständig trocken. Aber ich konnte nichts gegen die Flammen auf dem Wasser tun.
„Sorry, ich …“
Plötzlich stand Leo neben mir. Er hockte sich hin und hielt seine flachen Hände auf das Wasser. Die Flammen zischten wie Kerzen, die man auspustete und ließen nur kleine schwarze Rußkrümel auf der Wasseroberfläche.
Die Undine machte ein Gesicht, als würde sie gleich weinen. Sie tat mir leid, aber ich konnte mich nicht um sie kümmern. Mir war immer noch so, als müsste ich jeden Moment explodieren. Sie trat ohne ein Wort den Rückzug an und verschwand in dem leicht trüben Wasser, was Leo gelöscht hatte. Was um alles in der Welt machte Leo jetzt hier? Spionierte er mir etwa nach? Ich schleuderte ihm einen Kieselsteinregen entgegen.
„Beruhige dich endlich!“, brüllte er mich an.
„Du benimmst dich wie ein Kleinkind. Das gibt ‚ne fette Strafe!“
Konnte ich meinen Ohren trauen? Was bildete sich dieser Idiot eigentlich ein? Ich war drauf und dran, ihn in eine Sandsäule einzupacken, dass ihm die Luft für alle Zeiten wegblieb. Da erhob sich eine donnernde Stimme dicht hinter mir.
„Was ist hier los! Den Terror hört man ja in der ganzen Gegend.“
Ranja stand hinter mir. Ihre Haare loderten. Die dunklen Wolken verzogen sich über ihr nach allen Richtungen. Es kehrte Ruhe ein. Ich stand mit offenem Mund vor ihr und starrte sie an. Oh Gott, ich hatte mich völlig vergessen.
„Ich ...“ Leo stellte sich neben mich und schnitt mir das Wort ab.
„Sorry, wir haben uns gestritten. Es war meine Schuld. Ich habe sie provoziert.“
Jetzt starrte ich Leo an und verstand überhaupt nichts mehr.
Ranja fixierte uns abwechselnd und fragte langsam, deutlich und bedrohlich:
„Wer-war-das-mit-dem-Feuer-auf-dem-See!!? Ich will die Wahrheit wissen.“
Ich bekam den Mund nicht auf. Leo antwortete.
„Ich war das. Ich weiß, dass das verboten ist, aber sie wollte flüchten, durch den Wasserdurchgang. Sie wollte nach Hause. Ich musste sie irgendwie aufhalten. Daraufhin hat sie dieses Unwetter angezettelt.“
„Ist das wahr, Kira?“
Ich zitterte. Ich war kurz davor, mich komplett zu verraten. Ich hatte Angst vor den Folgen. Aber Leo war da und schützte mich, warum auch immer.
„Ja, es ist wahr“, brachte ich mühsam hervor, als wären die Wörter Kleister in meinem Mund.
„Warum wolltest du nach Hause?“
Ranja beruhigte sich ein wenig. Die Bäume standen wieder still. Die Sterne funkelten an einem klaren tiefblauen Himmel, als wäre nichts gewesen.
„Was Persönliches. Ich will darüber nicht reden.“
Ranja nickte, als würde sie verstehen.
Ob sie wirklich was verstand?
„Trotzdem geht das nicht ohne Strafe ab. Ich weiß, dass dich Jerome schon mal abgefangen hat, Kira. Denke nicht, der Rat hätte nichts bemerkt. Er wird auch von diesem Vorfall erfahren. Du bist zwar immer noch in der ersten Woche. Aber ein drittes Mal darf das nicht passieren. Ihr bringt das Chaos hier in Ordnung. Und ihr geht am Wochenende zwei Häuser renovieren. Eins am Samstag, das zweite am Sonntag. Es kann auch jeder eins machen. Ganz, wie ihr wollt und ob ihr euch gerade streitet oder versöhnt. Das ist mir gleich.“
Ich nickte. Kein Wochenende, kein Ausschlafen, stattdessen Ackern. Aber vielleicht war das gerade genau das Richtige. Arbeiten, damit ich nicht ins Grübeln kam.
„Komm, wir müssen reden“, sagte Leo zu mir.
„Einen Moment noch.“ Ranja wandte sich an mich.
„Kira, auch wir werden ein Gespräch führen, wenn ihr Eure Arbeit am Wochenende erledigt habt. Montagabend, wenn die Sonne untergangen ist, bei mir. Das rote Haus, gleich hinter der Akademie.“
„Okay.“ Mir lief es kalt den Rücken hinunter. Was wollte sie von mir? Ob sie doch etwas ahnte? Sie zwinkerte mir versöhnlich zu, als wenn: sorge dich nicht, alles in Ordnung. Das beruhigte mich ein wenig. Ich hatte das Gefühl, dass ich durch sie sogar noch glimpflich davon gekommen war.
Im Nu war sie zwischen den Bäumen verschwunden und
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