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Himmelstiefe

Himmelstiefe

Titel: Himmelstiefe Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Daphne Unruh
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Kopf.
    „Oh nein, Kira … Du verstehst mich völlig falsch. Fürs Erste möchte ich nur eins: Das mit deiner Doppelbegabung und der Affinität zu Wasser sollte unter uns bleiben. Im Idealfall erfährt niemand bis zu deinem Abschluss davon. Danach bist du frei und keiner kann dir mehr was anhaben. Aber bis dahin gibt es seit dem Fall Alexander und Clarissa strenge Regelungen. Menschen mit Doppelbegabungen werden nicht mehr ausgebildet. Man unterdrückt die Schwächere der Begabungen, so dass nur noch eine bleibt. Es gibt keine Gedächtnislöschung, deshalb sind die Malariaanfälle bei weitem nicht so schlimm, aber mit einem pro Jahr muss man rechnen. Ich bin gegen diese Regelung, aber ich kann mich nicht durchsetzen gegen die Mehrzahl im Rat. Ich will dir das ersparen, Kira.“
    Seine Worte waren beruhigend und beunruhigend zugleich.
    „Hat es denn nie positive Beispiele von Doppelbegabungen gegeben, also, ich meine in den Augen des Rates?“, fragte ich ihn.
    „Doch, natürlich! Das ist es ja gerade, was mich wütend macht. Der Rat blendet sie aus, weil die angeblichen Negativ-Fälle der letzten Jahrzehnte alle anderen überschatten.“ Jerome stand auf, hockte sich vor mich und nahm meine vor Aufregung kalten Hände in seine großen, warmen, trocknen Hände. Ich spürte einen leichten Schwindel und biss mir auf die Unterlippe. Als wäre er mein Vater, der auf mich aufpasst. Der Gedanke ließ sofort das alt vertraute Gefühl, zu oft allein gelassen worden zu sein, in mir aufkeimen.
    „Pass auf, du lässt das alles erst mal sacken, ruhst dich aus heute. Wenn irgendwas ist, kannst du jederzeit zu mir kommen … oder mir eine Nachricht hierher bringen. Draußen ist ein Briefkasten. Wichtig ist, zu niemandem ein Wort über deine Fähigkeiten. Ich werde mit dir trainieren, sie gut zu verbergen. Bis dahin gehen ein paar Ausrutscher als Affinität zu anderen Elementen durch. Das kriegen wir schon hin. Du kannst mir vertrauen, okay?!“
    Ich sagte okay, obwohl überhaupt nichts okay war. Er ließ meine Hände los. Ich stand auf und sagte noch mal, okay, weil mir einfach nichts anderes einfiel. Er zog ein kleines Päckchen aus der Tasche und gab es mir:
    „Hier, das hilft beim Schlafen. Geh früh ins Bett. Morgen sieht die Welt schon ganz anders aus! Und vergiss bei allem nicht, es ist kein Fluch, es ist eine wunderbare Begabung!“
    „Ich muss mich noch bei Leonard entschuldigen, ich hätte ihn fast umgebracht.“ Jerome machte eine zustimmende Geste.
    „Das finde ich sehr gut. Du brauchst jetzt gute Freunde und so wenig wie möglich Feinde.“
    Das waren sehr wahre Worte. Ich war Jerome zutiefst dankbar. Er verstand mich, er beschützte mich, er war für mich da.
    „Danke …“, sagte ich.
    „Oh nein, du musst mir nicht danken … Ich kann nur nicht noch mehr Freunde ohne Gedächtnis oder Gesundheit gebrauchen …“ Er beließ es bei dieser Andeutung, aber ich verstand, dass er bereits einiges Leid durch die Entscheidungen des Rates erfahren haben musste.
    Wir verabschiedeten uns an der Tür mit einem festen Händedruck.
    „Morgen neun Uhr in der Eingangshalle. Nur wir beide. Dann studieren wir ein paar Kontrollübungen ein. Okay?!“
    „Ja.“
    ***
    Die Sonne begann bereits unterzugehen. Es mussten drei Stunden vergangen sein. Ich hatte bei Jerome das Gefühl für die Zeit verloren.
    Ich lief nach Hause, ging hoch in mein Zimmer und sah aus dem Fenster. Leonards Haus lag verlassen zwischen den Bäumen. Es brannte kein Licht. Er war noch nicht da. Neve war ebenfalls nicht Zuhause. Wo waren sie nur? Vielleicht draußen in der Welt. Bei dem Gedanken spürte ich sofort Heimweh. Ich legte mich auf mein Bett und starrte an die Decke. Die untergehende Sonne färbte alles mit einem lilagoldenen Licht ein, dass immer mehr ins Blaue überging. Ich musste mit Atropa chatten. Was würde sie zu all dem sagen? Vielleicht war ihr nicht klar, dass der Rat das Problem war. Vielleicht hatten die Schatten mit dem Rat zu tun? Hätte ich Jerome von den Schatten erzählen sollen? Vielleicht wusste er etwas darüber, glaubte auch, dass sie keine Einbildung, sondern eine echte Bedrohung waren. Aber Atropa hatte gesagt, ich solle nichts davon verraten. Sie hatte aber auch gesagt, ich solle sofort den Rat informieren, wenn sich eindeutig neue Fähigkeiten bei mir zeigten. Warum? Wusste sie nicht, was sie dann mit mir machten? Oder wusste sie es etwa? Je mehr ich nachdachte, desto verwirrender wurde alles. Ich merkte, ich verstand

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