Himmlische Träume: Die Fortsetzung des Weltbestsellers "Chocolat" (German Edition)
Frau in Schwarz anzutreffen, aber als ich zu dem Haus mit den grünen Fensterläden kam, öffnete mir statt ihrer eine Frau Ende sechzig, rundes Gesicht, mollig, dichtes graues Haar, das unter einem locker geknoteten hijab hervorquoll. Sie schaute mich erstaunt an, zuerst sogar ein wenig misstrauisch, aber als ich ihr die Pfirsiche reichte und erzählte, dass ich gestern Abend mit Maya geredet hätte, erschien auf ihrem Gesicht ein glückliches Lächeln.
»Ach, unsere kleine Maya!«, rief sie. »Immer unterwegs. Ziemlich vorlaut, hee?«
Ich lächelte. »Ich habe auch eine kleine Tochter. Rosette. Bestimmt lernen Sie sie bald kennen. Und meine Anouk. Ich heiße übrigens Vianne.«
Ich streckte ihr die Hand hin. Sie drückte meine Finger ganz leicht, was in Tanger als Händedruck gilt. »Ihr Ehemann?«
»Er ist in Paris. Wir bleiben nur ein paar Tage hier.«
Sie stellte sich als Fatima vor. Ihr Mann war Medhi Al-Djerba. An den Namen konnte ich mich erinnern, allerdings nur vage – Reynaud hatte ihn irgendwie erwähnt, an dem Tag, als ich hier angekommen war. Sie hätten einen Laden und würden seit fast acht Jahren in Les Marauds leben. Medhi stamme aus dem alten Marseille und trinke gelegentlich gern ein Gläschen Wein.
Fatima deutete nach drinnen. »Bitte, kommen Sie doch herein, und trinken Sie einen Tee mit uns.«
Ich schüttelte den Kopf. »Ich möchte nicht stören. Sie haben bestimmt viel zu tun. Ich wollte nur kurz guten Tag sagen und Ihnen die Pfirsiche bringen. Wir haben viel zu viele.«
»Kommen Sie herein, kommen Sie schon!«, beharrte Fatima. »Ich bin gerade am Kochen. Ich gebe Ihnen etwas, was Sie mitnehmen können. Essen Sie gern marokkanisch?«
Ich erzählte ihr, dass ich als Mädchen sechs Monate in Tanger gelebt habe.
Sie strahlte noch mehr. »Ich mache die allerbesten süßen Sesamkekse. Mit Minztee oder amar el-din. Sie können auch welche mit nach Hause nehmen, für Ihre Familie.«
So ein Angebot darf man nicht ablehnen. Ich weiß das aus Erfahrung. Die langen Reisejahre mit meiner Mutter haben mir gezeigt, dass Essen so etwas wie ein universeller Reisepass ist. Auch wenn es noch so viele Barrieren gibt – Sprache, Kultur, Geographie –, das Essen überwindet alle Grenzen. Wenn man jemandem etwas zu essen anbietet, bedeutet das, man reicht ihm freundschaftlich die Hand, und wenn man annimmt, heißt es, dass man in eine geschlossene Gesellschaft aufgenommen wird. Hat Francis Reynaud je über diesen Ansatz nachgedacht? Wie ich ihn einschätze, eher nicht. Reynaud meint es gut, aber er ist nicht der Typ, der Sesamkekse kauft oder in dem kleinen Café an der Ecke des Boulevard P’tit Baghdad ein Glas Minztee trinkt.
Ich folgte Fatima ins Haus. Vorher zog ich brav die Schuhe aus. Im Inneren war es angenehm kühl, und es roch nach Frangipani. Die Fensterläden waren seit der Mittagszeit geschlossen, als Schutz gegen die Sonnenhitze. Eine Tür führte in die Küche – ich konnte eine herrlich aromatische Mischung riechen: Anis und Mandel und Rosenwasser und Kichererbsen, gekocht in Kurkuma und gehackter Minze und schwarzem Kardamom. Und außerdem die wunderbaren kleinen Sesamkekse, frittiert in Öl, gerade die richtige Größe, dass man sie so in den Mund stecken kann, blumenförmig und zerbrechlich und zum Minztee einfach perfekt.
»Vielen Dank, ich glaube, ich nehme lieber etwas mit nach Hause«, sagte ich, als Fatima mich erneut drängte, Platz zu nehmen und Tee mit Gebäck zu verspeisen. »Aber Sie dürfen mir nicht zu viele geben. Bestimmt sind Sie gerade dabei, das iftar vorzubereiten.«
»Ach, wir haben mehr als genug«, erwiderte sie. »Bei uns kochen alle gern, und jeder hilft mit in der Küche.« Sie öffnete die Küchentür, und ich blickte in einen Halbkreis neugieriger Gesichter. War die Frau in Schwarz dabei?, fragte ich mich, schob den Gedanken aber sofort wieder weg. Hier handelte es sich um eine Familie, das begriff ich.
Da war Maya, auf einem kleinen Hocker. Sie putzte die Okraschoten. Dann zwei Frauen, beide Ende zwanzig – vermutlich Fatimas Töchter. Die eine trug Schwarz, ein hijab bedeckte Haare und Hals. Die andere trug einen buntbestickten hijab, dazu Jeans und einen seidenen kamiz.
Auf einem Stuhl hinter der Tür kauerte eine winzige, uralte Frau, die mich mit Vogelaugen, die aus einem Nest aus Falten hervorlugten, anstarrte. Sie war mindestens neunzig Jahre alt, ihre feinen weißen Haare hatte sie zu einem langen, dünnen Zopf geflochten, der ein paarmal
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