Hinter blinden Fenstern
oder lachte – beides tat sie oft und eindringlich –, traten ihre Falten aus der dick aufgetragenen Schminkschicht hervor und ließen ihr wahres Aussehen erahnen. An jedem Finger trug sie einen Ring, auch an den Daumen, und das Rot auf ihren Lippen verschwand den ganzen Abend ebenso wenig wie der süßliche Duft ihres Parfüms. In ihren Bluejeans wirkte sie übergewichtig, aber wenn sie sich durch ihre Kneipe zwängte, schubste sie mit dem Hintern Hocker und Männer locker zur Seite. Und wenn sie sich nach etwas bücken mußte, wackelte sie absichtlich mit dem Hintern, weil sie wußte, daß die Männer darauf warteten.
»Sind Sie verheiratet?« Mit dem erhobenen, schaumgekrönten Glas wartete Fallnik, bis sein Gegenüber den Blick von der Wirtin loseiste, die hinter dem Tresen überfüllte Aschenbecher in einen grünen Plastikkübel leerte.
Gregorian schüttelte den Kopf und leerte die kleine Schnapsflasche in einem Zug. Dann stieß er mit seinem Pilsglas gegen das Weizenbierglas.
»Wohlsein.«
»Prost.«
»Ich leb auch allein«, sagte Fallnik mit verkniffenem Gesichtsausdruck. »Mir geht’s gut.« Wieder trank er mit einer hastigen Bewegung und plazierte das Glas genau in der Mitte des Bierdeckels. Nach einem Schweigen sagte er: »Ich hab nix zu verbergen. Die können in mein Schlafzimmer leuchten, da passiert nix.« Offenbar grinste er. Gregorian war sich nicht sicher. »Blöd ist, ich hab den ganzen Tag die Vorhänge zu und die Rollos runter. Angewohnheit. Da ist nicht viel zu holen für die Jungs an den Monitoren. Alles digital und ferngesteuert. An den Brennpunkten. Waren Sie mal am Milbertshofener Platz? Da hängen die rum. Zwei Tote in fünf Monaten. Diverse Schwerverletzte. Überfälle auf alte Omas. Diebstähle. Belästigungen. Mindestens acht Vergewaltigungen seit dem Sommer. Da sind Sie in eine saubere Gegend gezogen. Wieso eigentlich? Sind Sie mit dem Zeugner befreundet?«
»Mit welchem Zigeuner?« Ich muß raus, dachte Gregorian. Sein Glas war schon wieder leer.
»Zeugner. Ihr Vormieter«. Fallnik bohrte mit dem kleinen Finger der linken Hand in seinem Ohr. »Der hat da fünf oder sechs Jahre gewohnt, ohne Probleme. Dann haben sie ihn bei der Stadt entlassen, angeblich wegen Alkohol im Dienst. Glaub ich nicht. Sie haben ihn entlassen, weil er bei den falschen Leuten mitgemacht hat, und das haben die rausgekriegt. Er hat sich bei der NPD auf die Liste setzen lassen, für die nächsten Stadtratswahlen. So was geht natürlich nicht. Er war bei der Stadtgärtnerei. Normaler Typ. Und von einem Tag auf den anderen: Servus. Das hat den zerbröselt. Hat seine Miete nicht mehr bezahlt, aus Trotz. Hier hat er gestanden, da, wo Sie stehen, genau da. Aufrechter Mann. Total zerbröselt. NPD. Ich hab ihm abgeraten. Er wär sowieso nicht in den Stadtrat gekommen, wer wählt heut noch die NPD? Die Leute im Osten, das ist klar, die müssen irgendwo ihre Wut loswerden, die kotzen immer noch, wenn sie den Namen Kohl bloß hören. Ohne den Kohl gäb’s die NPD da drüben gar nicht. Die sind ausgemustert worden von der Regierung. Deswegen rufen die nach einem starken Staat, nach einer Politik, die was tut, die Entscheidungen trifft, die ihre Bürger schützt und versorgt. Sind Sie verheiratet? Hab ich Sie schon gefragt, entschuldige. Ich bin übrigens der Arthur.«
Schon hielt er sein Glas hoch.
Gregorian, der knapp zwanzig Jahre älter war, wollte sich nicht duzen.
»Bertold«, sagte er.
»Prost, Bertold.« Fallnik leerte sein Glas. »Also, du kennst den Zeugner überhaupt nicht.«
»Nein.«
»Ich hab dich ein paarmal im Hinterhof gesehen, sah aus, als würdst du was suchen.«
»Ich war nur Luft schnappen.«
»Bist du noch im Beruf?«
»Nein.«
»Was hast du gemacht, wenn ich fragen darf?«
»Verschiedenes.« Gregorian preßte die rechte Hand an seinen Rücken, sie zitterte nicht mehr so stark. Oder doch?
»Laß stecken.« Fallnik wandte sich zum Tresen um, und als er Maria am Tisch sitzen sah, wieder an Gregorian. »Geht mich nix an. Entschuldige, Bertram.«
»Bertold.«
»Ich arbeit in der Modebranche.« Er zwinkerte mit dem linken Auge, der Rest seines Gesichts blieb regungslos. »Modehaus Weinher in der Fußgängerzone, Herrenabteilung. Oder was davon übrig ist.« Er stellte sein Glas zurück auf den Stehtisch. »Ich bin Verkäufer. Und wenn ich fünfzig werd und immer noch Verkäufer bin, dann häng ich mich auf, aber eine Boss-Krawatte nehm ich nicht dafür her, darauf kannst du
Weitere Kostenlose Bücher