Hinter blinden Fenstern
den unförmigen Ohrwascheln.
Vor seinen Augen flimmerten Sterne. Und er trat, wie trotzig, von einem Bein aufs andere, stapfte mit den Füßen auf und spuckte immer noch aus und schlenkerte mit den Armen, und er war vor Selbsthaß unfähig, damit aufzuhören.
6 Welt außerhalb der Welt
W arum tust du das?« fragte sie und streichelte seine Hand mit den verkrümmten Fingern.
Er richtete sich auf. Aus wässrigen Augen sah er durch den nur von Kerzen erleuchteten Raum, der erfüllt war von den Düften der verschwundenen Frauen, dem Zigaretten- und Zigarillorauch der Männer, von denen kein einziger an diesem Abend guter Laune gewesen war.
Er streckte die Zunge heraus und gab ein kindisches Geräusch von sich.
Von allen Männern – es waren genau vier –, die heute hier getrunken und faltenlose Mädchenkörper mit Speichel bestrichen hatten, war er derjenige mit dem bodenlosesten Abscheu gewesen.
»Ich stink vom Herzen her«, sagte Gregorian.
Er zog seine Hand weg und rutschte an den Rand des Plüschsofas, dessen bunte Kissen ihn anwiderten. Er nahm eines davon und schleuderte es auf den Boden.
»Laß das, Bert«, sagte Clarissa.
Er grinste. »Wie hältst du das mit mir aus? Mit so einem verkrüppelten Sack? Huhu.« Er fuchtelte mit der rechten Hand, bog sie nach innen und vollführte eckige, abstoßende Bewegungen. »Nervenwrack. Die drei Finger hängen bloß noch so dran, Sehnenverkürzung. Hat nicht mehr gereicht, der Sehnenvorrat. Ich bin deswegen Linkshänder geworden.«
»Das hast du mir schon erzählt.«
Inzwischen bereute sie, daß sie mit ihm im Club geblieben war. Sie fragte sich, wie sie überhaupt auf die Idee hatte verfallen können, an Weihnachten geöffnet zu haben. Dinah hätte ihr das verboten.
Dinah. Dinah.
Dinah war nicht mehr da. Es war das erste Weihnachten ohne sie. Und Bert quatschte und benahm sich wie eine Arschgeige. Und wenn sie sich nicht täuschte, dann war er nicht einmal betrunken. Dann war er wirklich so. Sie kannte ihn anders, geduldig, auch beim Zuhören.
»Und deswegen taugt auch meine linke Hand nichts mehr.«
Er spreizte die Beine und streckte sie von sich und keuchte.
»Alles gut verborgen. Ich hätte doch keine Waffe halten dürfen, dann hätte ich nie einen Job gekriegt. Weißt du, daß ich schon als Vierjähriger Detektiv werden wollte? Weißt du das?«
»Das wollen wahrscheinlich viele Buben.« Unter ihrem weißen, weiten Seidenkleid war sie nackt, ihre Schenkel rieben aneinander und ihre Brustwarzen zeichneten sich überdeutlich unter dem Stoff ab. Doch Gregorian vermied jeden Blick. Das war ihr nicht entgangen, und sie verstand nicht, was in ihm vorging und wieso er nicht mit den Mädchen den Club verlassen hatte.
Und wieso sie ihn nicht endlich rauswarf, begriff Clarissa am allerwenigsten.
»Glaubst du, ich wollt schon als Kind Leute bespitzeln? Glaubst du das?« Er drehte den Kopf, schaute ihr wie versehentlich auf den Busen und schüttelte sich.
Sie stand auf, strich ihr Kleid glatt, indem sie mit einer langsamen, herausfordernden Geste über ihren Hintern fuhr, und ging zum Tresen. Sie nahm die Champagnerflasche aus dem Kübel, goß ihr Glas voll, trank einen Schluck und mußte wieder an Dinah denken.
Gregorian redete weiter, als bemerke er nichts von dem, was um ihn herum passierte.
»Wenn ich ein Spitzel hätte werden wollen, hätte ich mich beim BND gemeldet oder wäre in den Osten ausgewandert. Weißt du, was ich wollte? Ich wollte unter Menschen sein. Ich wollte einer sein, den niemand bemerkt und der doch dazugehört. Ich habe mir immer vorgestellt, ich schmuggele mich ein, in die Masse, in die Menge, in eine Gruppe. Verstehst du das, Clarissa? So habe ich mir das zukünftige Leben vorgestellt, ist das normal? Nein, das ist nicht normal. Mein Vater hat immer zu mir gesagt: Du bist doch nicht normal, das ist doch nicht normal, was du da tust, so handelt doch kein normaler Mensch.«
Ruckartig hob er den Kopf und sah zu Clarissa hinüber.
»Das ist doch nicht normal!« schrie er. »Das ist doch nicht normal. Das ist doch nicht normal. Du bist doch nicht normal.«
Ein Husten zerschmetterte seine Stimme, er gurgelte und röchelte.
Clarissa stellte ihr Glas auf die Theke und fürchtete, Gregorian würde sich übergeben. Aber er preßte die linke Hand auf seinen Mund, warf den Kopf in den Nacken, wippte in den Knien und zwang sich, das Spucken zu unterdrücken und seine schäbigen Gedanken zu zügeln.
Zwei Minuten würgte er mit
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