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Hinter blinden Fenstern

Hinter blinden Fenstern

Titel: Hinter blinden Fenstern Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Friedrich Ani
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Gregorian einen Bierkrug stehen, der im Lauf von zwei Stunden nur unwesentlich leerer wurde.
    Eine Italienerin packte ihn am Arm und lachte ihm ins Gesicht und bot ihm eine Zigarette an. Er brachte kein Wort heraus. Er hob den Bierkrug mit der linken Hand und trank einen Schluck und lachte nicht. Die Menge tobte zur donnernden Schlagermusik.
    Eine Zeitlang redete er mit seinem Nachbarn, einem Mann Anfang zwanzig mit stoppelkurzen Haaren und geröteten Wangen, über etwas, das er sofort vergaß. Der junge Mann verstand ein wenig Deutsch, aber meist lachte er und trank und schrie Gregorian ins Ohr und trommelte mit beiden Händen auf die Holzbank.
    In dem Moment, als einer der Freizeitkicker das Zelt betrat – es war der, wie Gregorian gleich erkannte, der im Spiel die rote Hose und das gelbe T-Shirt getragen hatte –, sprangen zwei Italienerinnen auf den Tisch, stürmisch angefeuert von ihren Freunden und anderen Gästen. Gregorian stand auf und reckte den Kopf.
    Die Gruppe um Fehring bahnte sich einen Weg durch die dichtgedrängt stehenden Besucher und steuerte einen Tisch in der Nische an, der offensichtlich für sie reserviert war. Die vier Männer, die dort saßen, begrüßten die Neuankömmlinge mit wilden Umarmungen.
    Gregorian sah auf die Uhr: fünf nach halb sieben. Sie hatten sich verspätet. Das ärgerte ihn.
    Fehring saß mit dem Rücken zu ihm und machte keine Anstalten, nach ihm Ausschau zu halten. Das war normal.
    Die Italienerinnen tanzten auf dem langen Tisch.
    Gregorian hatte seine Wildlederjacke anbehalten. In der Innentasche trug er die Plastiktüte aus dem Handschuhfach.
    Er wartete.
    Sein Maßkrug war leer. Jemand mußte daraus getrunken haben. Der junge Mann neben ihm brüllte ihm etwas ins Ohr. Gregorian verstand kein Wort. Die weiße Bluse der einen Italienerin war schweißnaß, Gregorian starrte auf ihren Busen, der sich unter dem Stoff mächtig wölbte.
    Mit einem Ruck wandte er sich ab.
    Fünf Reihen weiter drängte Fehring sich zum Ausgang.
    »Entschuldigung«, rief Gregorian dem jungen Mann mit dem geröteten Gesicht zu und folgte Fehring.
    Darauf hatte er spekuliert. Monatelang.
    Mehr als ein Jahr lang. Tag und Nacht.
    Heute war der Tag.
    Heute ist der Tag, dachte er und schob Betrunkene beiseite und behielt die Ordner im Auge und die bewaffneten Polizisten und die Bedienungen mit den vollen Maßkrügen.
    Vor den Toilettenwagen hatten sich Schlangen gebildet.
    Fehring wurde vorwärtsgeschubst. Er redete auf einen Mann ein, der ihm auf die Schulter klopfte und schwankte und sich an ihm festhielt.
    Gregorian wartete in der Entfernung. Hunderttausende schoben sich zwischen den Buden und Fahrgeschäften und Zelten hindurch, von überall her dröhnte Musik. Auf dem Hang zur Theresienhöhe lagen Betrunkene und stöhnten oder schnarchten oder gaben keinen Laut von sich. Hundertschaften von Polizisten patrouillierten auf dem Gelände. Sanitäter stützten junge Frauen, die jede Orientierung verloren hatten. Hinter Zelten übergaben sich Jugendliche in zerrissenen Hosen und Hemden, bekleckert mit Essensresten.
    Ungewollt erinnerte Gregorian sich an einen Monolog Fallniks, in dem es um die zehn oder fünfzehn Kameras ging, mit denen die Polizei das Oktoberfest überwachte. Auf diese Weise, meinte Fallnik, würde die Polizei Taschendieben den Garaus machen.
    Taschendiebe.
    Gregorian griff in die Innentasche seiner Jacke.
    In der Zwischenzeit war Fehring im Toilettenwagen verschwunden.
    Das war der Moment.
    Jetzt, Clarissa, versöhne ich mich mit der Zeit.
    »Hier. Hier.« rief er und torkelte an einem Paar vorbei, das sich sabbernd küßte.
    »Maxe.« Fehring wischte sich die Hände an der Hose ab.
    »Da bist ja! Hab dich schon gesucht. Was ist los?«
    »Mir ist nicht gut.« Gregorian lallte. »Hilf mir, da … da hinten, bitte …« Ja, dachte er, ja.
    »Du verträgst halt nichts«, sagte Fehring. »Bist du schon lang da? Schaust ja übel aus. Warte.« Er legte Gregorians Arm um seine Schulter und führte ihn zur Wiese, die im Halbdunkel hinter ihnen anstieg. »Ich hätt gewettet, daß du wieder nicht kommst, du Einzelgänger. Gehts noch? Halt dich fest, Maxe.«
    »Da hin … da rüber, bitte …«
    Alles war leicht, alles war einfach, alles war normal.
    Er sackte auf die Knie. Fehring bückte sich. Und Gregorian stach zu.
    Die Plastiktüte hatte er um den Griff gewickelt. Wie geplant, benötigte er nur einen Stich. Fehring knickte auf ihn zu.
    Behutsam bettete Gregorian ihn ins Gras. Er zog die

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