Hinter blinden Fenstern
wie einen Gehörnten hinstellen. Spinnst du?«
»Sie sind kein Gehörnter«, sagte Fischer. »Sie sollten Ihre Frau ausreden lassen, das ist wichtig für unsere Ermittlungen.«
»Für Sie vielleicht ist das wichtig, für mich nicht. Für mich nicht.« Er drehte den Kopf zur Tür. »Das schreiben Sie aber nicht auf. Das sind Familienangelegenheiten.«
Valerie tippte jedes Wort mit.
»Aufhören, sag ich.«
Valerie tippte.
»Erzählen Sie weiter«, sagte Fischer. »Und erzählen Sie alles auch Ihrem Mann, ein für allemal.«
»Kann ich Sie mal allein sprechen, unter vier Augen?« Soltersbusch deutete mit dem Kopf verschwörerisch auf seine Frau.
»Nein«, sagte Fischer.
»Ist aber wichtig.«
»Hat es etwas mit dem Fall des ermordeten Josef Nest zu tun?«
»Nein.«
»Dann sprechen wir später.« Fischer nahm seinen blauen Stift. »Hat Herr Nest Sie angerufen, Frau Soltersbusch?«
»Ja, am Montag vor einer Woche.«
Fischer notierte das Datum. Das war der siebzehnte September, sechs Tage, bevor Nest erschlagen worden war.
»Was wollte er von Ihnen?«
»Ja, genau«, sagte Soltersbusch. »Was wollte der Penner?«
»Seine Stimme hab ich nicht gleich erkannt. Er hat dann gesagt, er kommt vorbei, er muß mich dringend sprechen, hat er gesagt. Ich hab ihm gesagt, das will ich nicht. Er hat gesagt, es geht um Leben und Tod. Ich hab zu ihm gesagt, dann soll er zur Polizei gehen, er meinte, ich würde ihn nicht verstehen. Da hab ich aufgelegt.«
»Wo war ich da?« sagte Soltersbusch.
»Warum haben Sie aufgelegt?« fragte Fischer.
»Er hat wieder angerufen«, sagte sie. »Und weil er sich nicht abwimmeln ließ, hab ich gesagt, wir treffen uns in der Stadt, auf dem Marienplatz, beim Brunnen.«
»Wie damals«, sagte Fischer. »In der Zeit, als Sie eine Weile zusammen waren.«
Ein blasses Rosa überzog ihre wächsernen Wangen. Doch ihre Stimme blieb unverändert kraftlos, farblos wie ihre ganze Erscheinung.
»Was wie ›damals‹?« blaffte ihr Mann.
»Und dann stand er auf einmal mitten auf der Straße. Mitten auf der Anhalter Straße. Als hätt er auf mich gewartet. In diesem alten, zerrissenen Mantel, dürr und gelb im Gesicht, schreckliche Gestalt. Ich bin so erschrocken, daß ich gelacht hab. Ich hab gelacht, weil ich nicht geglaubt hab, daß er es ist. Der Jo. Der sah ja aus wie verkleidet, wie so ein Stadtstreicher, den der Madaira früher manchmal im Fernsehen gespielt hat. So sah der Jo jetzt aus. Und dann will er mich auch noch anlangen, da mußt ich gleich noch mal lachen. Er hat ja so gezittert. Sein Körper war ein einziges Schlottern, inklusive dem Mantel. Ein wandelnder Schüttelfrost stand da vor mir und sagt, er wollt mich noch mal sehen, weil er bald sterben wird. Deswegen sei er auch in die Gegend gekommen, weil er noch mal schauen wollt, wo er eine gute Zeit gehabt hat. Er wollt noch mal einen Blick in die gute Vergangenheit werfen. Das hat der tatsächlich gesagt. Einen Blick in die gute Vergangenheit werfen. Dann schau, hab ich gesagt, schau und schleich dich wieder. Fast hätt er angefangen zu heulen, mitten auf der Anhalter Straße, das geht doch nicht. Das kann man doch nicht machen.«
»Wann war das?« sagte Soltersbusch und ruckelte am Arm seiner Frau. Sie hielt ihre Hände nach wie vor im Schoß und hatte, wie in ihrem Schlafzimmer, die Daumen zwischen Zeige- und Mittelfinger gesteckt.
»Ja«, sagte Fischer, »wann war das? Wann haben Sie Josef Nest auf der Straße getroffen?«
»Am Mittwoch. Da wären wir verabredet gewesen.« Sie stockte. Dann redete sie in etwas aufgeregterem Ton weiter.
»Ich war doch schon auf dem Weg zur U-Bahn. Steht der da und sagt: Erkennst mich noch? Erkennst mich noch? sagt er. Ich hab gelacht. Und weil ich meinem Mann gesagt hatte, daß ich in die Stadt fahr und wegen einem neuen Mantel schau, für den Winter, konnt ich schlecht wieder umdrehen. Also bin ich weiter zur U-Bahn gegangen, und er hinter mir her. Der hat kaum Luft gekriegt, dauernd mußte er husten.«
»Und ich? Was hab ich an dem Tag gemacht?«
»Du warst achtsam«, sagte Anita Soltersbusch so sachlich, wie sie alles andere erzählte. »Du hattest ein Treffen mit deinen Glupschaugen vom AMM. Von mir hast du nichts mitgekriegt. Wir sind zur U-Bahn, Jo und ich, und er hat wieder gesagt, er wird bald sterben, und dann wollt er mich wieder anlangen, ich hab’s ihm nicht erlaubt. Aber die Hand hab ich ihm schon gegeben. An der U-Bahn-Treppe. Er wollte nicht mitkommen, er wollt im Viertel
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