Hinter blinden Fenstern
Fragen.
»Die Frau behauptet, sie sei psychisch labil« , sagte Liz Sinkel. »Und wenn ich sie weiter vernehme, war das Folter. Die meint das ernst. Außerdem ist ihr Parfüm unerträglich. Ich hab nicht lockergelassen, aber sie sagt, sie hat den Mann nie vorher gesehen. Was soll ich machen? Behalten wir sie hier?«
»Der Mann interessiert sich vor allem für unsere Videokameras«, sagte Micha Schell. »Der wollte mit mir darüber diskutieren, ob wir alle nicht in seinen Verein eintreten, in diese Spitzeltruppe AMM.«
»Die bespitzeln niemanden, die versuchen nur, ihrer Umgebung gegenüber aufmerksam zu sein«, sagte Liz.
Schell ging nicht darauf ein. »Er bleibt bei seinen Aussagen. Aber ich spür, daß er lügt, seine Lügen tropfen ihm aus der Nase. Wir sollten ihn über Nacht in Gewahrsam nehmen.«
»Mit welcher Begründung?« fragte Fischer.
»Gefahr im Verzug. Oder wir vernehmen ihn einfach die ganze Nacht. Dann kann er morgen früh gleich in die Kirche gehen und seine Sünden noch mal beichten. Nachdem er sie uns gebeichtet hat.«
»Und du, Esther?« sagte Fischer. »Hast du wenigstens konkrete Ergebnisse?«
»Zwei der drei Frauen, die für Clarissa Weberknecht arbeiten, schwören, daß sie Bertold Gregorian nicht kennen, nicht einmal seinen Namen.« Esther Barbarov warf einen Blick auf das Din-A-4-Blatt in ihrer Hand. »Die dritte, Eva Luchs, ist von Anfang an im Club Dinah, und sie erinnert sich an Gregorian, als er regelmäßig im Haus verkehrte. Kontakt hatte er ausschließlich zu ihrer Chefin, die Gregorians Namen, da ist Eva sich sicher, in jüngster Zeit ein paarmal erwähnt hat, meist in Gegenwart von Mika Petrov. Das wissen wir ja. Willst du mit Eva Luchs sprechen? Sie wartet unten bei Valerie.«
»Nein«, sagte Fischer. Den Hut hatte er schon an die Garderobe gehängt, jetzt zog er seinen Mantel aus und lockerte den Krawattenknoten. »Du kannst die Frau nach Hause schicken. Ich spreche mit dem Ehepaar Soltersbusch, und zwar mit beiden gleichzeitig. Sie kannten den ermordeten Josef Nest.«
»Woher weißt du das?« fragte Liz.
»Hab ich also recht gehabt mit den Orten, die das Verbrechen anziehen«, sagte Schell.
»Was für Orte ziehen das Verbrechen an?« fragte Esther Barbarov.
Im P-F-Raum standen ausnahmsweise zwei Stühle vor dem viereckigen Tisch unter dem Kruzifix. Auf die Aufforderung, ihre Mäntel im Sekretariat zu lassen, schüttelten Anita und Rupert Soltersbusch nur stumm den Kopf. Mit verschlossenen Mienen folgten sie Valerie über den Flur, setzten sich, ohne die Assistentin eines Blickes zu würdigen, vor das Fenster und reagierten auf die Frage, ob sie etwas zu trinken wünschten, mit Schweigen. Valerie holte den Laptop aus ihrem Büro, stellte ihn auf den Bistrotisch in der Ecke und öffnete die Datei mit den Vernehmungsprotokollen.
Vier Minuten vergingen bei offener Tür. Dann kam Polonius Fischer herein. Er schloß die Tür, legte seinen karierten Schreibblock und den blauen Stabilostift auf den Tisch und setzte sich dem Ehepaar gegenüber.
Den Knoten seiner bordeauxroten Krawatte hatte er wieder festgebunden und ein blauschwarzes Sakko angezogen.
Er betrachtete die Hände der dreiundfünfzigjährigen Frau, sie hatte sie im Schoß übereinandergelegt, genau wie ihr Mann. Beide trugen graue Mäntel, die sie nicht aufgeknöpft hatten. Von Liz und Schell wußte Fischer, daß sie die Mäntel auch im V-1, dem videoüberwachten Vernehmungsraum im dritten Stock, nicht abgelegt hatten.
Anita Soltersbusch hingen die dünnen weißen Haare wie Fransen über die Stirn, sie sah blaß und verhärmt aus. Im ovalen, nicht minder bleichen Gesicht ihres Mannes regte sich kein Muskel. Fischer kam es vor, als würden die beiden ihn zwar ansehen, aber nur unwesentlich wahrnehmen.
»Grüß Gott«, sagte er.
Keiner der beiden erwiderte seinen Gruß.
Valerie vermerkte auch das Schweigen.
»Wann haben Sie, Frau Soltersbusch, Herrn Nest zum erstenmal gesehen? Am vergangenen Wochenende oder schon früher?« Fischer beugte sich ein wenig vor. Die Zeugin starrte auf ihre Hände. »Und Sie, Herr Soltersbusch, wann und wo haben Sie Herrn Nest getroffen?«
Nach einer Zeitlang, während sogar das monotone Klacken der Computertastatur abbrach, klopfte Soltersbusch mit dem Zeigefinger auf den Holztisch. »Wir sind seit über drei Stunden hier. Sie reden mit uns wie mit Verdächtigen, aber wir sind nicht verdächtig, Herr Fischer. Und das habe ich Ihrem Kollegen da oben auch gesagt. Was Sie
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