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Hinter dem Blau: Ein kleines Mädchen verliert seinen Vater. Eine junge Frau findet zu sich. (German Edition)

Hinter dem Blau: Ein kleines Mädchen verliert seinen Vater. Eine junge Frau findet zu sich. (German Edition)

Titel: Hinter dem Blau: Ein kleines Mädchen verliert seinen Vater. Eine junge Frau findet zu sich. (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Alexa von Heyden
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irgendwann Mutter geworden ist.«
    »Sie wissen, dass sich mein Vater das Leben genommen hat, oder?«
    »Ja, ich habe damals auch die Traueranzeige bekommen. Dass er sich umgebracht hat, war für mich und all die anderen Kollegen ein Schock. Ihr Vater war sehr beliebt und, wie gesagt, ein sehr guter Arzt.«
    »Hatten Sie damals jemals das Gefühl, dass mit meinem Vater irgendetwas nicht stimmte?«
    »Auch diese Frage ist für mich schwer zu beantworten, diese ganze Reise war gefühlsmäßig eine Achterbahnfahrt. Wir haben jeden Tag versucht, die Körper kleiner Kinder zusammenzuflicken, mussten aber auch Beine amputieren. Jeden Tag gab es neue Opfer und wir alle waren an der Grenze der Belastbarkeit. Aber Ihr Vater schien ganz und gar in seinem Element zu sein. Die Stimmung in einem deutschen Krankenhaus ist ganz anders, viel stressiger, weil bürokratischer. Ihr Vater hat immer wieder betont, wie viel Sinn seine Arbeit in Khao-I-Dang für ihn machte. Für die Khmer waren wir die einzige Hoffnung, auf uns allen lastete ein großer Druck. Es gab so fürchterliche Schicksale. Ihr Vater hat die Kollegen motiviert, durchzuhalten, und für besonders arme Familien zusätzliche Verpflegung organisiert. Von seinen Depressionen habe ich erst nach seinem Tod erfahren. Sein Tod tut mir furchtbar leid, aber ich kann Ihnen sagen, dass Sie stolz auf ihren Vater sein können.«
    Ich schweige einen Moment. Auf was genau soll ich stolz sein? Dass er anderen Leuten das Leben gerettet hat, aber sein eigenes leider nicht?
    »Kann ich sonst noch etwas für Sie tun, Frau Schulz?«
    »Nein, im Moment nicht. Sie haben mir sehr geholfen. Danke für Ihre Zeit.«
    »Gern, wann immer Sie möchten, rufen Sie wieder an. Grüßen Sie Ihre Mutter.«
    Wir verabschieden uns, ich lege auf. Der Hörer ist nass von meiner verschwitzten Hand. Wie gern würde ich jetzt eine Zigarette rauchen. Ich denke an die Worte von Magnus: »Dann fehlt jetzt ja nur noch, dass du an den Ort des Geschehens fährst.«
    Caro steht plötzlich hinter mir. Sie war gerade duschen und rubbelt sich mit einem Handtuch die Haare trocken.
    »Mit wem hast du gerade gesprochen?«
    »Mit einem alten Kollegen von Papi, der auch in Khao-I-Dang war.«
    »Und?«
    »Ich glaube, die Geschichte mit der Krankenschwester war nicht der Grund für das, was in Lingen passiert ist.«
    Sie schaut mich an, ich schaue sie an.
    »Wann geht’s morgen nach Berlin zurück?«
    »Vormittags, diesmal aber mit dem Zug, nicht mit dem Flieger.«
    Caro dreht sich das weiße Handtuch auf ihrem Kopf zu einem Turban und sagt: »Fahr hin. Ich sage Mama nichts, versprochen.«



 
    Ein staubiger Wind weht durch den Bahnhof und kündigt den einfahrenden Zug an. Wie aus dem Nichts taucht der ICE auf und rauscht wie eine große Zahnpastatube an mir vorbei. Meine Haare fliegen durcheinander, ich wische mir den Dreck aus den Augen und steige mit einem Seufzer, von dem ich hoffe, dass er mir Mut macht, ein. Das Ziel auf meinem Ticket heißt Berlin, mit Zwischenstopp in Lingen. Auf Anhieb finde ich einen Sitzplatz, direkt am Eingang eines Nichtraucherabteils. Die Türen des Zuges schließen sich mit einem Zischen. Bis auf ein weiteres, weinendes Mädchen ist der Bahnhof menschenleer. Ihr Freund, ein Bundeswehrsoldat, drückt sein Gesicht an eines der Fenster und wirft ihr Luftküsse zu. Neben mir wickelt eine ältere Dame ihr in Alufolie eingepacktes Wurstbrot aus und haut die Schale von einem gekochten Ei an die Lehne des Vordersitzes. Sie lächelt mich an. Mir wird schlecht.
    Der Zug beginnt seine Reise, die Aussicht wechselt zwischen Wohnhäusern, Industriegebiet, Wald und Weiden. Der Zug wird immer schneller, Deutschland rast weiter an mir vorbei und der Blick aus dem Fenster macht mich müde. Ich rolle meine Jacke zu einem Knäuel zusammen und stopfe sie zwischen meinen Kopf und die Fensterscheibe. Mir schießen Bilder durch den Kopf: Im Garten färbt sich das Wasser im Planschbecken rot. Ich springe hinein und bade in dem blutigen Wasser. Mein Vater und Lamai tanzen in blauen Hemden um mich herum.
    Ein paar Stunden später steige ich in Lingen aus. Ich kenne mich überhaupt nicht aus, weiß nicht, wo der Ausgang ist, und laufe deshalb einfach den anderen Leuten hinterher. Ich steige in ein Taxi und nenne dem Fahrer, einem schmierigen Typen in Lederjacke und weißer Jeans, die Adresse, wo wir früher gewohnt haben.
    Auch während der Fahrt erkenne ich nichts wieder, die Gegend ist absolut fremd. Irgendwie merkt

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