Hinter dem Horizont: Metro 2033-Universum-Roman (German Edition)
vorzustellen, dass dieser Offizier als Steigbügelhalter des Bösen an jenen furchtbaren Ereignissen beteiligt gewesen war, die dafür gesorgt hatten, dass es keine Zukunft mehr gab. Doch was er sah, war kein Verbrecher, sondern nur ein unglückseliger, schwerkranker Mann.
»Wir nehmen ihn doch mit, oder?«, fragte der Junge und zupfte seinen Vater ungeduldig am Ärmel.
»Ganz bestimmt«, kicherte Dym. »Und den Truck bauen wir in ein mobiles Irrenhaus um. Und wenn bei dem abgedrehten Typen irgendeine Sicherung durchbrennt, knallt er uns alle ab wie schlachtreife Schweine.«
»Kommt nicht infrage«, verfügte Taran. Er sprach leise, damit der Offizier nichts mitbekam. »Mir hat der Fußgänger schon gereicht. Dieses Risiko werden wir nicht eingehen.«
»Aber …«
»Gleb, musst du eigentlich an allen meinen Entscheidungen herumkritisieren? Das hatten wir doch schon.« Der Stalker wandte sich dem Kontrollraum zu, überlegte kurz und rief dann hinein: »He, Divisionskommandeur! In welchem Zusammenhang hattest du vorhin Kaspisk erwähnt?«
Die Hände des Wahnsinnigen verharrten über der Tastatur, und er bekam kurzeitig einen vernunftbegabten Gesichtsausdruck.
»Die Stadt ist von einem Kernwaffenangriff verschont geblieben. Sie kann nicht einfach so verschwunden sein! Ich habe mir schon lange vorgenommen: Sobald ich aus dem Dienst entlassen werde, fahre ich dorthin …«
Mesenzew schloss traumverloren die Augen. Doch dann begann er plötzlich, hektisch in den Papieren am Tisch zu herumzusuchen, als wäre ihm etwas Wichtiges eingefallen.
»Wir könnten dich bis zur Stadt mitnehmen«, schlug Taran zu Glebs Überraschung vor.
»Ich kann jetzt nicht weg«, winkte der Offizier mit todernster Miene ab. »Ich muss hier bald die Übergabe machen, und der Bericht ist noch nicht fertig. … Wo ist denn nur das verdammte Wachbuch abgeblieben?«
Der Wahnsinnige sauste an dem verblüfften Trio vorbei und verschwand in der Dunkelheit der Katakomben.
»Lass gut sein«, bremste Gennadi Taran, der hinterherlaufen wollte. »Dem kann sowieso keiner mehr helfen. Soll er ruhig gehen.«
»Ich werde das Gefühl nicht los, dass wir das irgendwann noch bereuen werden«, unkte der Junge.
»Die Zeit wird es zeigen«, erwiderte der Stalker mit seinem Lieblingsspruch.
Er ging zum Kanonenofen zurück, stellte ein paar Konserven aus seinem Vorrat auf den Boden und legte sein Armeemesser neben das völlig abgewetzte Klappmesser des Offiziers.
»Ist dir nicht leid darum?«, fragte Gennadi mit einem bedauernden Blick auf die glänzende Klinge.
»Der Divisionskommandeur braucht es dringender als ich.« Taran drehte sich zu seinen Begleitern um. »Findet ihr nicht, dass wir hier schon viel zu lange unsere Zeit verschwenden?«
»Absolut«, pflichtet Gennadi bei. »Mich juckt’s schon in der Nase von all der Feuchtigkeit hier. Höchste Zeit, dass wir wieder an die Sonne kommen. Und Aurora und Migalytsch werden sich auch schon Gedanken machen, wo wir so lange bleiben.«
Taran nickte zufrieden, legte die Gasmaske an und marschierte zum Ausgang.
»Ich bin schon gespannt auf das Gesicht des Alten, wenn er erfährt, dass wir die Route ändern …«
»Was meint er damit?«, tuschelte Gleb und knuffte den Mutanten in die Seite.
»Na was wohl? Die Suche nach unverstrahltem Land natürlich! Wir fahren ans Kaspische Meer!«
Wie unzählige Male zuvor scannte Nikolai Mesenzew auch an diesem Tag den Äther und lauschte, ob außer dem Hintergrundrauschen nicht doch etwas zu hören war, was wenigstens entfernt wie eine menschliche Stimme klang. Geduldig drehte er an den Reglerknöpfen und hoffte, endlich Antwort auf seine Tag für Tag wiederholten Funksprüche zu bekommen.
Obwohl er immer öfter von Hungerkrämpfen gebeutelt wurde, hätte Mesenzew sich nie erlaubt, von seiner täglichen Arbeitsroutine abzuweichen. Solcherlei Nachlässigkeit hätte er als Willensschwäche ausgelegt. Erst nachdem er sämtliche Haupt- und Reservefrequenzen durchgecheckt hatte, lehnte er sich zurück, streckte sich und ging im guten Gefühl, seine Pflicht erfüllt zu haben, in die Küche hinüber.
Mit dem schwächelnden Akku muss ich mir irgendwas überlegen, grübelte er, während er mit flinker Hand die glibberige Nacktschnecke zerteilte, die er am Morgen erbeutet hatte.
Während der anstrengenden Sitzung im Funkraum hatte er den Tischgenerator mehrmals betätigen müssen, und jedes Mal war es ihm schwerer gefallen, die vermaledeite Kurbel zu drehen. Nikolai war
Weitere Kostenlose Bücher