Hinter dem Horizont: Metro 2033-Universum-Roman (German Edition)
durchaus klar, dass er mit jedem Jahr, das er in diesem Bunker verbrachte, schwächer wurde, doch es wäre gegen seine Berufsehre gegangen, den soldatischen Eid zu brechen und seinen Posten zu verlassen.
Vor vielen Jahren hatte eine mysteriöse Infektion auf einen Schlag all seine Kameraden dahingerafft, und er selbst war nur deshalb am Leben geblieben, weil er zu jener Zeit mit einer banalen Grippe in einem Quarantäneraum lag. Seither hatte er aufgehört, einen Kalender zu führen. Die Tage, Wochen, Monate und Jahre zerrannen ihm buchstäblich zwischen den Fingern, doch er glaubte noch immer an die Stärke und Unbesiegbarkeit des Vaterlands. Dieser unerschütterliche Glaube war sein einziger Halt im Kampf gegen den schleichenden Wahnsinn, der sich wie ein dunkler Schatten über sein Bewusstsein legte.
Ich muss nur auf den Einsatzbefehl warten, sagte er sich immer wieder gebetsmühlenartig. Für den Gegenschlag. Für einen Vergeltungsschlag, der endgültig einen Schlussstrich unter diesen endlosen Krieg zieht. Und dann wird sich alles zum Besseren wenden … Ganz bestimmt …
Was konkret sich zum Besseren wenden sollte – so weit konnte Nikolai mit seinem vernebelten Verstand nicht mehr denken. Nur selten verlor er sich in diffusen Träumereien über Kaspisk. Viel öfter stellte er sich vor, wie er dem Befehlshaber der Raketenarmee Meldung über die erfolgreich durchgeführte Gefechtsmission macht … Ach, was heißt hier dem Befehlshaber der Raketenarmee?! Dem Oberbefehlshaber der Strategischen Raketentruppen! Darunter ging gar nichts!
Ein heftiger Rempler in den Rücken brachte Mesenzew auf den Boden der Realität zurück. Plötzlich lag er zu Füßen eines Hünen, der einen ABC -Schutzanzug und darüber eine schusssichere Weste trug. Der Fremdling kratzte sich den verschwitzten roten Bart, legte den Kopf schief und musterte den im Staub liegenden Nikolai.
»Du bist also die berüchtigte ›potenzielle Bedrohung‹, die dem Oberst so viel Kopfzerbrechen bereitet hat?«
Als Nikolai aufstehen wollte, bekam er einen brutalen Schlag auf den Solarplexus, rutschte mit dem Rücken durch die Feuerstelle mit den glühenden Kohlen und krümmte sich vor Schmerz. Während er von einem fürchterlichen Hustenanfall gebeutelt wurde, packte ihn der Ankömmling am Arm und zerrte ihn in die schlicht eingerichtete Kochnische zurück.
»Weißt du eigentlich, wie viele von unseren Kämpfern wegen deiner Funknummern draufgegangen sind, während du dir hier was Leckeres in die Pfanne gehauen hast? Wegen deinem hirnverbrannten Gequatsche musste ich einen ganzen Trupp opfern, um durch die verfluchte Senke zu kommen … Wegen dir musste ich zu Fuß durch die Steppe latschen, als der Treibstoff alle war! Wegen dir musste ich den Fahrer und den Richtschützen umlegen, um Filter und Proviant zu sparen!!«
Sungat atmete durch, rückte die noch heiße Pfanne näher und nahm das Armeemesser, das auf dem Schneidbrett lag.
»Aber warte nur … Dir werde ich die Suppe versalzen, du elende Bunkerratte …«
Nikolai bekam gar nicht richtig mit, was kurz darauf geschah. Er hörte nur ein grässliches Knacken, spürte einen höllischen Schmerz in der Hand und begann zu schreien. Dann sah er, wie sein eigener Finger in die Pfanne flog. Es zischte, das aufkochende Blut schlug Blasen, und im Raum verbreitete sich der Gestank verbrannten Fleischs.
»Nein … bitte nicht«, jammerte Mesenzew und versuchte, die Hand freizubekommen, die unter dem Stiefel seines Peinigers festgeklemmt war.
Doch der schien das Stöhnen überhaupt nicht zu bemerken und betrachtete nachdenklich das besudelte Messer in seiner Hand.
»Das kenne ich doch irgendwoher … Ich bin sicher, dass ich das Ding schon mal gesehen habe.« Sungat beugte sich herab und fletschte drohend die Zähne. »Sag mal, Freundchen, ist es lange her, dass der Eigentümer dieses Messers bei dir vorstellig war?«
Noch bevor Mesenzew, benebelt vom Schmerz, den Sinn der Frage begriff, hackte der Steppenhund ihm noch einen Finger ab. Wieder hallte ein Schrei durch die leeren Gänge des Bunkers. Nikolai kniff die Augen zu und zitterte am ganzen Leib. Wenigstens musste er nicht mit ansehen, wie sein zweiter Finger in der Pfanne zu schmurgeln begann.
»Du musst wissen, ich verstehe mich nicht nur auf die Zubereitung einfacher Pfannengerichte. Wenn du Lust hast, weihe ich dich gern in die Feinheiten der Kochkunst ein …«
»Sie sind gegangen! Das ist ungefähr vierundzwanzig Stunden her!«, schrie
Weitere Kostenlose Bücher