Hinter dem Horizont: Metro 2033-Universum-Roman (German Edition)
an ihre Stelle trat die feste Gewissheit, dass die Zwistigkeiten in ihrer kleinen, aber richtigen Familie nun ein Ende haben würden.
Als Gleb sich beruhigt hatte und sich aus der Umarmung des Stalkers löste, strahlte sein Gesichtsausdruck wieder jene Selbstsicherheit und Ernsthaftigkeit aus, die für ein Kind völlig untypisch war.
»Darf ich dich etwas fragen?« Der Junge wischte sich mit dem Ärmel über die geröteten Augen und schniefte.
»Natürlich.«
Taran bemühte sich, souverän zu wirken.
»Als du in Kaspisk auf der Tragfläche standst … Was hättest du gemacht, wenn Dym doch nicht mehr aus der ›Ameise‹ gekommen wäre?«
Die Miene des Stalkers verfinsterte sich, und auf seiner Stirn bildeten sich tiefe Furchen. Als Gleb bemerkte, wie betroffen sein schlagartig gealterter Vater auf einmal war, biss er sich auf die Zunge und ihm wurde klar, dass er die Antwort auf seine Frage überhaupt nicht hören wollte. Doch Taran hatte sich die passenden Worte bereits zurechtgelegt.
»Irgendwann stehen wir alle einmal vor der Wahl. Um das eine zu bekommen, müssen wir etwas anderes aufgeben. In solchen Momenten ist es entscheidend, nicht dem nachzutrauern, was man verliert. Denn so bitter der Verlust auch sein mag, er ist der gerechte Preis, den wir für unsere Wahl bezahlen müssen …« Der Stalker massierte sich die Schläfen und sprach leise und ausdruckslos weiter. »Nicht nur wir waren in Gefahr, sondern die gesamte Expedition. Wenn Dym nicht herausgekommen wäre, hätte ich das Kommando gegeben, ohne ihn zu fliegen.«
»Ist dir dieses Alpheios wirklich so wichtig? Was, wenn es nur ein Hirngespinst ist?«
»Mag sein … Aber wenn dieses Projekt existiert, gibt es der Menschheit die Chance, noch einmal von vorn anzufangen. Und selbst wenn diese Chance nur verschwindend klein ist, müssen wir versuchen, sie zu nutzen.«
18
DAS PANORAMABILD
Indien, Thailand, Vietnam, China … So viele neue Begriffe auf einmal hatte Gleb in seinem ganzen unterirdischen Leben noch nicht gehört. Außerdem verbargen sich hinter diesen geheimnisvollen Namen nicht irgendwelche Metrostationen, ja noch nicht einmal Städte, sondern ganze Länder!
Die Ausmaße der Territorien, die Migalytsch beschrieb, waren einfach unvorstellbar, und selbst die Schlaumeierin Aurora blickte ergriffen auf den fernen Küstenstreifen, ohne den Alten zu unterbrechen. Sie wusste nur zu gut, dass sie mit trockenen Zahlen aus dem Lehrbuch keinen Eindruck schinden konnte im Vergleich zu den lebendigen Erinnerungen dieses Zeitzeugen einer für immer erloschenen Epoche.
Alle Bitten der Kinder, an Land zu gehen, um wenigstens einen kurzen Blick hinter den Schleier des Küstennebels zu werfen, beschied Taran mit einem kategorischen Nein. Wie eine Raubkatze auf dem Sprung beobachtete er pausenlos den Horizont, der die Welt in Meer und Himmel teilte. Nur während der kurzen Phasen, in denen das »Kaspische Monster« wasserte, entfaltete der Stalker hektische Aktivitäten an Bord, um den Ekranoplan so rasch wie möglich für die nächste Flugetappe startklar zu machen.
Migalytsch, der einzige und unersetzliche Pilot der Expedition, gönnte sich nur wenige Stunden unruhigen Schlafs, wenn der Flug ohnehin unterbrochen werden musste, um nachzutanken und die Triebwerke zu warten. Trotzdem beschwerte sich der alte Mann nicht ein einziges Mal über seinen anstrengenden Job. Er war so vernarrt in sein neues Spielzeug, dass er glatt um zehn Jahre jünger wirkte, besonders seine Augen, die vor Lebendigkeit und Unternehmungslust sprühten.
Die vorsintflutliche Handpumpe, mit der man den Sprit aus den Fässern in die Tanks des durstigen Relikts pumpen musste, avancierte schon bald zum persönlichen Feind der Besatzung. Trotzdem versuchte niemand, sich vor der Arbeit zu drücken. Die Zielstrebigkeit des Kommandeurs hatte sich längst auch auf seine Leute übertragen. Selbst Aurora schuftete nach Kräften im Bewusstsein, dass das Ziel der Expedition mit jedem geschafften Kilometer näher rückte.
Gleb erkannte inzwischen schon am Triebwerksgeräusch, wann das »Kaspische Monster« zur Wasserung ansetzte. Als es wieder einmal so weit war, und der Ekranoplan beim Aufsetzen aufs Wasser zu vibrieren begann, schüttelte der Junge entnervt den Kopf. Die letzte Tankpause war doch höchstens zwei Stunden her! Und nun schon wieder leere Fässer schleppen?!
Doch als der Junge ungewöhnlich lautstarke Kommentare von Migalytsch hörte, vergaß er schlagartig die
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