Hinter dem Horizont: Metro 2033-Universum-Roman (German Edition)
Fußgängers auf.
»So, mein Lieber, dann wollen wir mal das Hosenbein hochkrempeln!«, sagte der Chirurg streng zu seinem taubstummen Patienten, besann sich und erklärte dasselbe noch einmal mit Gesten.
Dabei rutschte ihm sein Flachmann heraus und fiel scheppernd auf den Boden. Mit einem Wattebausch in der Hand stand der Heide wie angewurzelt da und starrte entsetzt die Metallflasche an.
»Du hast dein Betäubungsmittel verloren«, lästerte Sitting Bull und bereute sogleich seine Unbedachtheit, als er die vorwurfsvollen Blicke der anderen bemerkte.
Aurora, Gleb und Dym, die unfreiwillig Zeugen der peinlichen Szene geworden waren, hielten den Atem an und warteten gespannt, was passieren würde. Die schmerzhafte Metamorphose, die den Arzt auf eine innere Zerreißprobe stellte, schien auf einmal zu Ende.
Der Heide bückte sich resigniert und griff mit zitternden Fingern nach der Flasche …, aber nur, um den verhassten Fetisch zu packen. Mit angewiderter Miene, als hielte er eine giftige Schlange in der Hand, stürzte er zur Ausstiegsluke, verwarf die absurde Idee und drehte sich orientierungslos im Kreis, weil er nicht wusste, wohin mit der vermaledeiten Pulle. In seiner Not pfefferte er sie einfach in eine Ecke. Der Flachmann rutschte quietschend über den Boden und landete unter einer der Kojen. Der Heide sank an der Wand zu Boden und legte den Kopf auf die Knie.
»Taran hätte ihn lieber zur Rede stellen sollen«, flüsterte Aurora ihrem Freund zu.
»Manchmal macht mir mein Vater Angst«, erwiderte Gleb. »Er kann in einen Menschen hineinschauen. Er liest in seiner Seele wie in einem offenen Buch. Manchmal spricht er Dinge gar nicht offen an und verzichtet auf laute Töne, aber trotzdem macht es dann auf einmal Klick, und in dem Menschen legt sich plötzlich ein Schalter um. So hat er es auch mit dem Heiden gemacht.«
Samuil Natanowitsch hatte sich unterdessen aufgerappelt. Er ließ – als wäre nichts gewesen – die Finger krachen und widmete sich wieder seinem Patienten.
»Tja, wir haben Verstärkung bekommen«, kommentierte Gennadi. »Und es sieht ganz so aus, als hätten wir gleich zwei Neue auf einmal.«
Der Raketentransporter wurde durchgerüttelt, und der Zwölfzylinder heulte mit höherer Drehzahl. Die »Ameise« fuhr den flachen Hang zum Fluss hinunter und setzte langsam auf die Eisfläche über. Der umsichtige Migalytsch ließ sich Zeit, um notfalls rasch zurücksetzen zu können. Doch der Fußgänger behielt recht. Das bis zum Grund gefrorene Flachwasser am Rand des Flusses erwies sich als perfekte Straße für den schwerfälligen Truck.
Keines der Besatzungsmitglieder achtete auf das seltsame Geräusch, das für einen Augenblick den Motorenlärm übertönte. Mit einem dumpfen Knall rissen gleich mehrere Bündel von Stahlseilen, schlugen orgelnd gegen den rostigen Pylon, und ein ganzer Brückenabschnitt stürzte unter einer Wolke von aufgewirbeltem Schnee in die Scheksna.
Das majestätische Bild der Zerstörung vor dem Hintergrund des rauchenden Tscherepowez wäre den Abenteurern noch lange in Erinnerung geblieben, doch es war niemand mehr da, um von der toten Stadt hinter der Flussbiegung Abschied zu nehmen. So ist der Mensch nun einmal. Er schaut nicht gern zurück, wenn die verlockende Ungewissheit eines langen Weges vor ihm liegt.
Die Ameise fuhr mit gleichmäßigem Tempo am welligen Ufer entlang und näherte sich der endlosen Eiswüste des Rybinsker Stausees.
4
DER MIME
»Was guckst du? Spül schon ab! Beim Spachteln ist er dabei, aber wenn’s ums Aufräumen geht, stellt er sich doof, von wegen: Ich nix verstehen …« Sitting Bull drückte dem Fußgänger einen schmutzigen Topf in die Hand, schob ihn zur Blechwanne mit dem heißen Wasser und drehte sich dann zum Chirurgen um. »Natanowitsch, sag ihm, dass er seinen Hintern in Bewegung setzen soll.«
Der Heide raunte nur etwas Unverständliches und winkte ab. Er war käseweiß im Gesicht. Dem Arzt war immer noch schlecht, nachdem der Truck längere Zeit über Packeis geholpert war. Dafür antwortete Taran, der gerade aus dem Durchgang kam.
»Sitting Bull, wenn mich nicht alles täuscht, hast du heute Kombüsendienst.« Die Augen des Stalkers funkelten bedrohlich. »Und weißt du was? Ich täusche mich so gut wie nie.« Der langhaarige Jüngling zog den Kopf ein und senkte den Blick. »Bist du nicht noch ein bisschen jung für einen › Ded ‹? Oder bist du dir zu fein zum Kesselschrubben? Solche Mätzchen sparst du dir in
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