Hinter der Nacht (German Edition)
nicht
besonders. Aber ich finde ihn ganz – interessant.“ Unvermittelt zupfte sie mich
am Ärmel. „Komm, blicken wir dem Tiger ins Auge.“ Bevor ich wusste, wie mir
geschah, zog sie mich hinter sich her. Als mir klar wurde, was sie vorhatte,
war es bereits zu spät. Wenn ich mich nicht lauthals zur Wehr setzen und damit
alle Aufmerksamkeit auf mich ziehen wollte, blieb mir nichts anderes übrig, als
gute Miene zum bösen Spiel zu machen und ihr zu folgen, auch wenn ich mit
Sicherheit keinen Fuß vor den andern gekriegt hätte, wenn sie mich nicht
gnadenlos vorwärts gezerrt hätte.
Beim Näherkommen
nahm ich einen eigentümlich scharfen Geruch wahr, der mich entfernt an die
Ausdünstungen in einem Raubtierkäfig erinnerte. Er schien von Arik zu kommen.
„Jordan, das ist
Clarissa“, verkündete Patti, als wir angekommen waren, an den Trainer gewandt.
„Sie möchte bei uns mitmachen. Hi, Arik.“
Sein Kopf fuhr
ruckartig zu uns herum, und dann starrte er mich absolut ungläubig an. Sofort
senkte ich den Blick. Meine Beine zitterten wie verrückt. Ich hatte das Gefühl,
gleich vor aller Augen in Ohnmacht zu fallen.
Zum Glück schien
der Trainer – Jordan - nichts von dem Aufruhr in meinem Innern zu merken. „Oh,
ein Braungurt! Welcher Kyu?“
„Zwei…zweiter.“
Meine Stimme klang piepsig.
Er wirkte
zweifelnd. „Also, du kannst gerne mitmachen, aber ich weiß nicht, ob dir das
was bringt. Die anderen sind alle noch Anfänger. Wir trainieren erst seit einem
Jahr. Weiter als bis orange ist noch keiner. - Am besten, du hältst dich an
Arik hier“, fügte er dann nach kurzem Nachdenken zu meinem Entsetzen hinzu. „Er
ist der einzige, der dir gewachsen sein dürfte. Aber ich warne dich: er ist
eher ein Freestyler.“ Mit diesen rätselhaften Worten wandte er sich ab, ohne
meinen fassungslosen Blick zu beachten.
Das musste ein
Alptraum sein! So viel Pech war selbst für mich zu viel! Was sollte ich denn
jetzt tun? Mit einem äußerst mulmigen Gefühl wandte ich mich zu Arik um und
schnappte gerade noch seinen ungläubig wütenden Gesichtsausdruck auf. Offenbar
beruhte meine extreme Abneigung gegen ihn auf Gegenseitigkeit. Bevor ich jedoch
irgendetwas tun konnte, drehte er sich auf dem Absatz um und stapfte davon, so,
als sei ich gar nicht vorhanden. Und ich blieb mit der Gewissheit zurück, der
größte Unglücksrabe in ganz Inverness zu sein.
Wider Erwarten
stellten das Aufwärmtraining und die Grundschule mein inneres Gleichgewicht
ansatzweise wieder her. Es tat einfach zu gut, endlich mal wieder die
vertrauten Bewegungen auszuführen und sich auszupowern. Doch leider war mir
klar, dass das nur eine kurze Atempause war, denn zu jedem Karatetraining
gehörte unweigerlich das Kumite . Der Kampf. Und für den brauchte man nun
mal einen Gegner.
Ich hatte Arik
bei den vorherigen Übungen heimlich beobachtet, um ihn besser einschätzen zu
können, doch ich wurde nicht schlau aus ihm. Zwar schien er nicht alle
Techniken zu kennen, aber er war unheimlich gelenkig und brauchte nie mehr als
ein oder zwei Wiederholungen, bis er eine Technik genau so präzise beherrschte
wie unser Trainer. Hinzu kam die Kraft, die er mit jeder Bewegung ausstrahlte.
Der ganze Kerl schien nur aus Muskeln und Sehnen zu bestehen. Auch ohne meine
Theorie in der Praxis zu überprüfen, war ich mir sicher, dass ich ihm in keiner
Hinsicht gewachsen wäre.
Als mir auffiel,
dass mittlerweile alle außer mir einen Partner gefunden hatten, setzte ich mich
schließlich doch widerwillig in Bewegung. Meine Füße fühlten sich so schwer an,
als würde ich mich durch zähen Morast bewegen. Insgeheim hoffte ich darauf,
dass er mich wieder einfach stehen lassen würde. Nach unseren bisherigen
Begegnungen musste er mich schließlich für die größte Niete aller Zeiten halten
(und ich war geneigt, ihm zuzustimmen). Doch er blieb stehen, auch wenn er sein
Bestes gab, mich mit Missachtung zu strafen.
Als ich
schließlich bebend vor ihm stand, fiel mir erneut sein Geruch auf, der wirklich
intensiv war. Aber irritierenderweise nicht unangenehm. Eher beunruhigend. Je
mehr ich davon einatmete, desto stärker wurde mein Fluchtinstinkt. Alles in mir
schrie mir zu, mich von ihm fern zu halten. Und ich wusste auch, woher dieses
Gefühl kam. Dieser Typ roch im wahrsten Sinne des Wortes nach Gefahr.
„ Kumite hajime !“
Das Startkommando ertönte.
Sofort ging Arik
mir gegenüber in Kampfstellung, und nur mühsam gelang es mir, nicht vor
Weitere Kostenlose Bücher