Hinter der Nacht (German Edition)
ich
wenigstens meine Ruhe.“ Er verschränkte die Arme vor der Brust.
„Apropos
unterwegs – wo ist er denn eigentlich?“ Komisch, dass ich an seine anhaltende
Abwesenheit keinen weiteren Gedanken verschwendet hatte.
„Irgendwo in
Südamerika. Recherchen für sein neues Buch.“ Wieder dieser verächtliche
Unterton.
Trotzdem bohrte
ich weiter: „Und – worum geht’s?“
„Keine Ahnung.
Vermutlich mal wieder Engel. Ist sein absolutes Lieblingsthema.“ Er warf mir
einen misstrauischen Blick zu. „Sag nicht, du fährst auch auf so was ab?“
„Nein, nein“,
beeilte ich mich zu versichern. „Höchstens als Roman. Aber falls du wissen
willst, ob ich glaube, dass es Engel und so was wirklich gibt – nein.“ Ich
schüttelte den Kopf. „Obwohl – manchmal wünschte ich es mir schon. Wär doch
faszinierend, wenn es noch was anderes gäbe als immer nur die gleichen
langweiligen Menschen. Müssen ja nicht unbedingt Engel sein. Die sind ja auch
eher langweilig. Viel zu brav. Aber vielleicht ein paar Vampire oder Werwölfe.“
Ich bleckte die Zähne.
Mike verkniff
sich ein Grinsen, schüttelte dann aber vehement den Kopf. „Nein, danke. Darauf
kann ich gut verzichten. Aber wenn du das alles so spannend findest, wende dich
ruhig an meinen Vater. Der erzählt dir mehr darüber, als dir lieb ist.“ Sein
Ton ließ keinen Zweifel daran, dass das das Letzte wäre, was er tun würde.
Angesichts
seiner offen zur Schau getragenen Verachtung beschloss ich, es fürs erste gut
sein zu lassen. Aber als wir später schlafen gingen, nahm ich eins der Bücher
als Gutenachtlektüre mit. Konnte ja nie schaden, sich über die Menschen, mit
denen man zusammenlebte, zu informieren. Oder über ihre Ideen.
Ich träumte
fürchterlich schlecht. Von Arik. Er irrte irgendwo durchs Dunkel, einsam und
allein, verfolgt von einer finsteren Gestalt. Ich sah ihn nur undeutlich in der
Ferne und wollte ihn warnen, doch so laut ich auch rief, ich konnte ihn nicht
erreichen. Und der Verfolger kam immer näher. Jetzt sah ich, dass es kein
normaler Mensch war, denn er hatte ein Paar pechschwarze, riesengroße Flügel.
Wie ein Engel. Ein finsterer Racheengel.
Plötzlich hielt
er mitten im Schritt an, als hätte er, im Gegensatz zu demjenigen, dem sie
galten, meine stummen Schreie gehört. Mit zunehmendem Unbehagen beobachtete
ich, wie er suchend hin und her blickte und sich dann zielstrebig zu mir
umdrehte. Seine Augen ließen mich schaudern. Sie waren hart und eiskalt. Und
sie blickten mich genau an. Ich wusste, dass ich sie schon mal irgendwo gesehen
hatte. Mein Herz schlug zum Zerspringen, während die unheimliche Gestalt nun
langsam, Schritt für Schritt, auf mich zu kam. Ich wollte weglaufen, doch meine
Beine waren wie gelähmt. Ich sah, wie Arik in der Ferne verschwand. Er war entkommen,
doch sein Verfolger bedrohte nun mich.
Als er nur noch
einen Schritt von mir entfernt und ich kurz davor war, von Panik überwältigt zu
werden, wachte ich auf. Erleichtert riss ich die Augen auf – und sah ihn vor
mir. Ariks Verfolger aus meinem Traum. Er stand direkt vor meinem Bett und sah
auf mich herunter. Wie von Sinnen fuhr ich hoch. Ich wollte schreien, doch ich
brachte kein Wort hervor. Meine Kehle war wie zugeschnürt. Panisch schlug ich
mit der Hand nach ihm, während ich versuchte, mich aus der Bettdecke zu
befreien. Er blieb unbeweglich stehen und sein Blick bohrte sich in meinen. Als
wollte er bis auf den Grund meiner Seele schauen. Und dann, als ich gerade
glaubte, an meiner Angst zu ersticken – von einer Sekunde auf die andere – war er
nicht mehr da. Ich war allein in meinem Zimmer.
Mit letzter
Kraft hämmerte ich meine Faust auf den Schalter meiner Nachttischlampe. Das
warme Licht löste meine Starre. Ich sprang auf, raste zum Schalter der
Deckenlampe, der sich neben der Tür befand, und schaltete auch sie an. Erst als
mein Zimmer taghell erleuchtet war, konnte ich wieder atmen.
Den Rest der
Nacht verbrachte ich hellwach in meinem Bett sitzend. Zwar versuchte ich mir
einzureden, dass das gerade nur ein besonders lebhafter Traum gewesen war,
hervorgerufen von meinen Schuldgefühlen Arik gegenüber – aber wirklich
überzeugen konnte ich mich nicht. Zu genau sah ich die dunkle Gestalt vor mir
und fühlte ihren bohrenden Blick. Auch wenn ich wusste, dass es nicht sein
konnte – tief in meinem Innern wurde ich das bedrohliche Gefühl nicht los, dass
er tatsächlich hier in meinem Zimmer gewesen war. Der finstere Engel. Und
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