Hinter der Nacht (German Edition)
mit ihm hier saß. Die Spannung zwischen uns war
fast körperlich spürbar, und es hätte mich nicht gewundert, wenn die Luft um
uns herum geknistert hätte. Während der Unterricht begann und Miss Urquhart uns
in die Untiefen der Vergangenheit entführte, konnte ich an nichts Anderes
denken als an den Jungen neben mir. Ich registrierte jeden Atemzug von ihm.
Alles an mir kribbelte. Wenn nicht bald irgendetwas passierte, würde ich
explodieren.
Hilfe kam in der
Mitte der Stunde, als ich schon glaubte, es keine Sekunde länger auszuhalten.
„So, Herrschaften, ich habe genug erzählt. Jetzt seid ihr dran! Lest euch den
Text über das Viktorianische Zeitalter noch einmal genau durch, und dann listet
ihr gemeinsam mit eurem Partner die wichtigsten Aspekte auf“, ertönte Miss
Urquharts Stimme.
Das Wort
„Partner“ ließ mich wie elektrisiert hochfahren. Aus dem Augenwinkel sah ich,
dass auch Ariks Kopf nach oben ruckte. Während ich noch mit mir haderte, ob ich
den Mut aufbringen würde, ihn anzusprechen, landete ein Arbeitsblatt vor uns
auf dem Tisch. Automatisch griff ich danach und bemerkte zu spät, dass er das
Gleiche vorgehabt hatte. Unvermutet trafen sich unsere Finger auf dem Papier,
und ich zuckte reflexartig zurück. Doch nicht schnell genug, um nicht erneut
den heftigen Stromstoß zu spüren, der mich bei seiner Berührung blitzartig durchfuhr.
Arik riss seine
Hand zurück, als habe er sich verbrannt. „Pass doch auf!“, fuhr er mich an.
Okay, das war
immerhin ein Anfang. Ich beschloss, meine Chance zu ergreifen. Eine bessere
würde sich wahrscheinlich so bald nicht bieten. „Pass doch selber auf!“
Er sah mich mit
dem schon bekannten finsteren Blick an. „Kannst du einen eigentlich nie in Ruhe
lassen?“
Diesmal ließ ich
mich nicht einschüchtern. „Ruhe hast du doch wirklich genug. Du solltest dich
lieber freuen, wenn mal jemand nicht gleich die Flucht vor dir ergreift!“
Miss Urquharts
mahnender Blick unterbrach unseren Schlagabtausch kurzzeitig, und ich tat so,
als sei ich interessiert in den Text vertieft, den sie uns vorgelegt hatte.
Dabei tanzten die Buchstaben im Takt meines Herzklopfens vor meinen Augen auf
und ab, und ich wäre beim besten Willen nicht in der Lage gewesen, auch nur ein
Wort zu entziffern. Selbst, wenn ich es gewollt hätte.
Als die anderen
Paare langsam anfingen, ihre Aufgabe zu besprechen, nahm ich das Gespräch
wieder auf, auch wenn mir schleierhaft war, woher der Mut dazu kam. „Warum bist
du eigentlich so?“
„Wie bin ich
denn?“ Er schaute mich angriffslustig an.
„Unfreundlich
und abweisend. Was hast du gegen deine Mitmenschen?“
Ariks Brauen
zogen sich zu einem fast durchgehenden Strich zusammen. „Ich würde sagen, das
beruht auf Gegenseitigkeit. Oder warst du es nicht, die mir vorgeworfen hat,
ich sei… Moment, wie war das noch mal? Ach ja, jetzt fällt’s mir wieder ein –
ich glaube, böse war das Wort, richtig?“
Ich wurde rot.
Musste er mich jetzt daran erinnern? „War vielleicht nicht ganz richtig“,
murmelte ich kaum hörbar.
Er sah mich
feindselig an. „Nicht? Und was wäre dann richtig?“
Ich wand mich
unter seinem scharfen Blick. Es fiel mir extrem schwer, weiterzusprechen, aber
jetzt hatte ich einmal angefangen, und da wollte ich es auch zu Ende bringen.
„Das habe ich doch nur gesagt, weil ich so sauer auf dich war. Schließlich hast
du auch nicht gerade nett über Mike gesprochen. Tut mir leid.“ Die letzten
Worte flüsterte ich nur noch.
Dummerweise
suchte sich Miss U. just diesen Moment aus, um uns ihre Aufmerksamkeit
zuzuwenden. Leider war uns beiden entgangen, dass die Partnerarbeitsphase
mittlerweile beendet war und alle außer uns längst wieder schwiegen.
„Ihr scheint
euch ja prächtig zu unterhalten!“ Ihre Stimme ertönte direkt vor unserem Tisch,
und mit ihren durch dicke Brillengläser verstärkten Augen sah sie sofort, dass
unser Blatt immer noch jungfräulich unberührt vor uns lag. Sarkastisch fuhr sie
fort: „Da ich mir sicher bin, dass ihr natürlich nur über historische Fakten
diskutiert habt, wäre es äußerst zuvorkommend, wenn ihr uns an euren
Erkenntnissen teilhaben lassen könntet!“ Sie blickte uns mit ihrem wissenden
Lehrerinnenblick an.
Ich begann zu stottern:
„Äh – also, das – äh - viktorianische Zeitalter - war die Zeit, in der – die
Viktorianer lebten.“
Das schallende
Gelächter meiner Mitschüler bewies, dass zumindest sieaufmerksam
zuhörten. Miss Urquhart quittierte
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