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Hinter der Nacht (German Edition)

Hinter der Nacht (German Edition)

Titel: Hinter der Nacht (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Claudia Walter
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Herzschlag, der mir schwach und unregelmäßig vorkam. Doch je länger ich
hier saß und einfach nur lauschte, desto mehr schien er sich zu beruhigen. Auch
mein Körper entspannte sich langsam, und der Nebel in meinem Kopf begann
zaghaft, sich ein wenig zu lichten. Nur die Kälte veränderte sich nicht.
    Als ich anfing,
mit den Zähnen zu klappern, beschloss ich, dass es Zeit wurde, mich wieder auf
den Weg zu machen. Da die Lampen nach dem Gottesdienst gelöscht worden waren,
fiel nur spärliches, diffuses Licht durch die wenigen Fenster. In einer kleinen
Nische seitlich des Altarraums brannte eine einsame Kerze. Vor der Kerze, auf
einer Art Pult, lag eine aufgeschlagene Bibel. Aus einem plötzlichen Impuls
heraus trat ich näher. Auf der einen Seite war das altmodisch gemalte Bild
eines knienden Menschen mit erhobenen Händen zu sehen, dessen Augen zum Himmel
gewandt waren. Auf der anderen Seite standen nur wenige Sätze: Du sollst den
Herrn, deinen Gott, lieben von ganzem Herzen, von ganzer Seele und von ganzem
Gemüt. Dies ist das höchste und größte Gebot. Das andere aber ist dem gleich:
Du sollst deinen Nächsten lieben wie dich selbst.
    Na super. Ich
lachte auf, aber es war kein fröhliches Lachen. Damit würde ich meine Probleme
bestimmt lösen! Entschlossen wandte ich mich ab. Dieses ganze verlogene
Geschwafel konnte mir ein für allemal gestohlen bleiben!
     
    Am Montag
erwachte ich, wie neuerdings immer, im Morgengrauen. Ich fror immer noch. Der
Schultag rauschte an mir vorbei wie die Messe in der Kirche. Ich funktionierte
wie ein Roboter, gab offenbar die richtigen Antworten, wenn mich jemand etwas
fragte, und verhielt mich unauffällig. Aber in meinem Kopf war nur Platz für
Arik. Wo war er? Warum kam er nicht zurück? Was hatte ich getan? Der Dienstag
verlief ähnlich. Meine schwierigste Stunde jedoch stand mir am Mittwoch bevor.
Geschichte. Wo der leere Platz direkt neben mir auch nicht dazu beitragen
würde, meine Laune aufzuhellen.
    Mein Frühstück
hatte aus einem halben Toast und etwas Wasser bestanden, und auch das hatte ich
nur mit Mühe hinuntergewürgt. Neuerdings schmeckte mir alles wie Pappe. Doch
jetzt, als ich mit bleischweren Beinen die Treppe hinaufstieg, um in den ersten
Stock zu gelangen, wo sich der Geschichtsraum befand, lag mir das Stück Toast
wie ein Stein im Magen. Als die Klassenzimmertür in meinen Blick kam, wurden
meine Schritte zunehmend langsamer. Ich fühlte mich auf einmal todmüde, wie
nach einem endlosen Marathonlauf. Nur mit größter Mühe konnte ich mich dazu
motivieren, weiterzugehen, bis ich endlich in der offenen Tür stand. Ich wollte
nicht zu dem leeren Tisch hinüberblicken, der mich vorwurfsvoll anzustarren
schien. Doch irgendetwas zwang mich dazu, es schließlich doch zu tun.
    ZOOMM! Eine Faust traf mich ohne Vorwarnung in den Magen. Ich spürte, wie mir die Luft
aus dem Körper gepresst wurde und mein Herz unvermittelt stehenblieb, um direkt
danach in verdoppelter Geschwindigkeit loszugaloppieren. Fassungslos schaute
ich noch einmal zu meinem Tisch. Dort – an seinem angestammten Platz, als wäre
er nie weg gewesen – saß Arik.
    Ich konnte ihn
nur anstarren. Als hätte er meinen Blick gespürt, schaute er plötzlich auf, und
seine Augen begegneten meinen. Alles um mich herum kam abrupt zum Stillstand.
Ich nahm nichts mehr wahr außer dem Dröhnen in meinem Kopf und seinem Blick.
Diesem tiefschwarzen Blick, der mir immer so finster erschienen war. Während
sich der Klassenraum langsam füllte, stand ich wie festgewurzelt in der Tür und
konnte keinen Schritt vor oder zurück tun. Ab und zu rempelte mich jemand
unsanft an, aber ich nahm es kaum wahr.
    Erst die Ankunft
Miss Urquharts riss mich aus meiner Erstarrung. „Was ist mit dir, Clarissa? Du
bist ja weiß wie eine Wand!“, fragte sie mich besorgt, als sie meiner ansichtig
wurde. „Geht es dir nicht gut?“
    Es war, als
würde ich aus einem meiner Alpträume erwachen. „Nein … ja … doch“, ächzte ich
mühsam.
    Sie blickte mich
zweifelnd an. „Brauchst du frische Luft? Willst du kurz rausgehen?“
    „Nein, nein, ist
schon okay“, stieß ich hervor. Dann biss ich die Zähne zusammen, ballte die
Fäuste, drückte die Beine durch, damit man ihr Zittern nicht sah, und stelzte
todesmutig vorwärts zu meinem Platz, wo ich mich steifbeinig niederließ. Arik
würdigte ich dabei keines Blickes. Während Miss Urquhart vorne mit ihrem
Unterricht begann, kreiste in meinem Kopf nur ein Wort: „Danke.

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