Hinter der Nacht (German Edition)
geboren? Nicht auch noch am gleichen Ort, oder?“
Diesmal war es
Arik, der zuerst antwortete, wobei er seinen Blick fest auf Mike gerichtet
hielt. „In Lochmaddy auf North Uist.“ Mittlerweile wusste ich, dass es sich
dabei um eine der Hebrideninseln im Nordwesten von Schottland handelte. Das
hatte ich nachgeschlagen, nachdem er es das letzte Mal erwähnt hatte. Arik sah
Mike immer noch unverwandt an. „Und du?“ Es klang irgendwie herausfordernd.
„Oh, ich wurde
in den blauen Fluten des Atlantiks geboren.“ Mikes Antwort verwunderte mich,
denn sie klang mehr wie der Anfang eines Gedichts, aber das erklärte nicht,
warum Arik neben mir spürbar zusammenzuckte und plötzlich wie gebannt an Mikes
Lippen zu hängen schien. Der fuhr fort: „Besser gesagt, in den grauen Fluten. In einem Boot, der Maid of the Mist, irgendwo vor Skye.
Eigentlich war es noch nicht so weit, aber ich hatte es wohl eilig. Meine
Eltern haben es nicht mehr an Land geschafft.“
Während ich die
Geschichte ziemlich cool fand (das war immerhin mal was anderes), sah Arik aus,
als hätte er eins übergebraten gekriegt. Ich konnte mir diese Schockwirkung des
Erzählten nicht erklären. Es war zwar ungewöhnlich, aber mehr doch auch nicht.
Wir schwiegen eine Weile, und ich war heilfroh, dass ich eine Pizza hatte, auf
der ich herumkauen konnte, bis sich Arik wieder gefangen hatte.
Doch das Thema
beschäftigte ihn weiter. „Habt ihr damals auf Skye gelebt, deine – Eltern - und du?“, fragte er Mike, und ich hätte schwören können, dass seine Stimme
bebte.
„Ja, irgendwo im
Nirgendwo“, antwortete der, „aber dann ist meine Mutter gestorben und wir sind
zurück nach Glasgow gezogen, zu meinen Großeltern.“
„Woran ist sie
gestorben?“
Ich sog scharf
die Luft ein. Durfte man so etwas Persönliches einfach fragen? Andererseits
hatte Arik selbst auch seine Mutter verloren, vielleicht gab ihm das ja das
Recht dazu.
Mike jedenfalls
schien ihm die Frage nicht übel zu nehmen. „Keine Ahnung. Sie war plötzlich
einfach weg. Wahrscheinlich ein Herzschlag oder ein Aneurysma. Aber man hat’s
nie rausgefunden.“
„Wie schrecklich
für deinen Vater“, murmelte ich. „So plötzlich, ohne jede Vorwarnung, und dann
mit einem kleinen Baby.“
Mike nickte.
„Ja, für ihn war es viel schwerer als für mich. Ich habe sie ja nie wirklich
gekannt, deshalb habe ich sie auch nicht vermisst. Aber er selbst ist nie
darüber hinweg gekommen. Vielleicht ist er ja deshalb so abgedreht. Er hat sie
wirklich sehr geliebt.“
„Ich glaube, mir
wird schlecht“, gurgelte Arik und sprang unvermittelt auf. Sein Gesicht sah
tatsächlich leichenblass aus. Er quetschte sich aus unserer Bank und rannte
dann in Richtung Toiletten davon.
Mike und ich
starrten ihm erstaunt hinterher.
„Was ist denn
mit dem los?“
Ich schüttelte
ratlos den Kopf. „Keine Ahnung. Vielleicht hat ihn das ja zu sehr an seine
eigene Mutter erinnert. Ich glaube, sie ist auch gestorben. Vielleicht hat
deine Geschichte ja zu viele traurige Erinnerungen geweckt.“
Mike schien
meine Erklärung zu akzeptieren, aber ich selbst war mir da nicht so sicher.
Irgendetwas störte mich an Ariks Reaktion. Als er mir von seiner Mutter erzählt
hatte, hatte ihn das längst nicht so mitgenommen. Warum also jetzt bei einer
völlig Fremden?
Die Minuten
verstrichen, doch Arik kam nicht wieder. Da ich mit Mike zusammen saß, dauerte
es eine Weile, bis mir klar wurde, was das vermutlich bedeutete. Im gleichen
Augenblick schien auch Mike seine lange Abwesenheit aufzufallen. „Er bleibt
aber ganz schön lange weg“, stellte er nach einem Blick auf seine Uhr fest.
„Soll ich mal nach ihm schauen?“ Ich nickte, obwohl ich mir ziemlich sicher
war, dass er sich die Mühe sparen konnte. Und richtig - schon nach kurzer Zeit
kam Mike mit einem ratlosen Gesichtsausdruck zurück. „Ich weiß auch nicht, wo
der Kerl steckt. Ich kann ihn nirgends finden!“
„Hab ich mir
schon gedacht.“
„Gedacht?
Wieso?“
„Ist so seine
Art.“
„Einfach
abzuhauen?“, fragte er ungläubig. „Ohne ein Wort?“
Wieder nickte
ich.
Wir warteten noch
eine Weile, aber Arik ließ sich nicht mehr blicken. Den ganzen Heimweg über
schüttelte Mike den Kopf über dessen unmöglichen Abgang – und noch viel mehr
darüber, dass ich mir das einfach gefallen ließ. Ich ließ ihn reden. Was hätte
ich auch sagen sollen? Ich wusste ja selbst nicht, was los war.
Ariks
Abwesenheit stellte meine Nerven auf eine harte
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