Hinter der Nacht (German Edition)

Lautsprecher, die verkündete, dass der Flug aus Glasgow jetzt
gelandet sei. Ich zog Mike vorwärts, bis wir dicht vor den Schiebetüren
standen, durch die Raphael bald kommen musste. Dabei war ich mir fast
schmerzhaft bewusst, dass Arik uns mit größter Wahrscheinlichkeit inzwischen
gesehen haben musste. Fast meinte ich, seinen Blick in meinem Rücken spüren zu können,
und es kostete meine ganze Selbstbeherrschung, mich nicht umzudrehen.
Eigentlich sollte er jetzt zu uns kommen und uns begrüßen. Wenn er es nicht
tat, wusste ich jedenfalls eins sicher: dass er Geheimnisse hatte. Und eine
innere Stimme sagte mir, dass das keine guten sein konnten. Mit klopfendem
Herzen und weichen Knien blieb ich neben Mike stehen und hatte dabei das
Gefühl, dass meine Augen und Ohren regelrecht nach hinten wuchsen, so sehr
versuchte ich zu erspüren, ob Arik noch hinter uns an der Säule stand. Erst
Mike, der plötzlich mit dem Ausruf „Da ist er!“ meinen Arm losließ, holte mich
zurück.
    Die Schiebetüren
hatten sich geöffnet, und inmitten eines kleinen Häufchens Anzugträger erkannte
ich Raphael Low sofort - nicht nur daran, dass er der einzige war, der statt
eines Anzugs einen bunten Poncho mit Inkamuster trug, sondern noch viel mehr,
weil er aussah wie eine dunklere Ausgabe von Mike: die gleichen Locken, nur
dunkelbraun statt kupfergold, und die gleichen Gesichtszüge, aber mit
sonnengebräunter Haut und braunen Augen sowie ein paar Falten, die zeigten,
dass er gute zwanzig Jahre älter war als sein Sohn.
    Während Mike
seinen Vater begrüßte, blieb ich im Hintergrund stehen. Dabei nutzte ich die
Gelegenheit, meine Position so zu verändern, dass ich aus dem Augenwinkel zu
der Säule schielen konnte, hinter der Arik gestanden hatte, wobei ich inständig
hoffte, dass er mein Manöver nicht bemerkte.
    Ich hätte mir
keine Sorgen zu machen brauchen. Ja, Arik war noch da. Aber für mich schien er
sich ganz und gar nicht zu interessieren. Stattdessen klebten seine Augen
förmlich an zwei anderen Personen, und diese schienen ihn so zu bannen, dass er
für nichts sonst einen Blick hatte. Er starrte sie mit einem wilden Flackern in
seinen Augen an, dass ich bis hierher wahrnehmen konnte, und sein
Gesichtsausdruck ließ mich zurückprallen. Es war blanker Hass. Und die beiden,
die er so anstarrte, waren niemand anders als – Mike und sein Vater.
    „Clarissa,
komm!“ Mikes Stimme riss mich aus meiner Starre. Er stand neben seinem Vater
und winkte mich zu sich. „Dad, das ist Clarissa!“
    Mechanisch
schüttelte ich die dargebotene Rechte und murmelte mein „Sehr erfreut“, doch
innerlich war ich ganz woanders. Vergeblich versuchte ich, einen Grund für
meine Beobachtung zu finden. Mir einzureden, dass er nicht Mike und
Raphael angestarrt hatte. Und dass ich seine Miene falsch gedeutet hatte. Er
hatte doch gar keinen Grund, die beiden zu hassen. Raphael kannte er ja noch
nicht mal, und mit Mike hatte er sich doch zuletzt ganz gut verstanden.
Bestimmt hatte ich mich in der Aufregung, ihn so unvermutet zu sehen, vertan.
Vielleicht war es ja noch nicht einmal Arik gewesen, sondern nur jemand, der
ihm ähnlich sah.
    Unsicher
wanderte mein Blick noch einmal zu der Säule – doch da stand niemand mehr.
Schnell suchte ich die Umgebung ab – mit dem gleichen Ergebnis. Weit und breit
war kein Arik zu sehen, und auch niemand, der ihm ähnlich sah. Es war, als
hätte ihn der Erdboden verschluckt. Oder als wäre er nie hier gewesen.
     
    Während der
gesamten Rückfahrt tauschten Mike und sein Vater Neuigkeiten aus. Ich gab vor,
ihnen zu lauschen, aber in Wirklichkeit bekam ich nichts von dem Gespräch mit.
Zu vieles lenkte mich ab: einerseits Arik und sein unverhofftes Auftauchen am
Flughafen - und andererseits Raphaels Stimme. In natura klang sie nämlich noch
viel mehr wie die von Arik, und das ließ mein Unbehagen noch gewaltig wachsen.
    Welche
Verbindung gab es zwischen den beiden? Denn dass es eine geben musste, war für
mich die einzig mögliche Schlussfolgerung. Kannte Raphael diese Verbindung
ebenfalls? Mike zumindest schien nichts davon zu wissen, sonst hätte er sich in
den letzten Wochen anders verhalten. Oder war er einfach ein brillanter
Schauspieler? Inzwischen wusste ich überhaupt nicht mehr, was ich glauben
sollte.
    Ich sann darüber
nach, wie ich mehr über die rätselhafte Beziehung zwischen Arik und den Lows
herausfinden konnte, und entschied mich schließlich für das einfachste
Vorgehen: Ich würde Raphael