Hinter der Nacht (German Edition)
Unwohlsein eine ganz andere Ursache hatte - ebenso, wie ich mir
jetzt sicher war, dass es tatsächlich eine Verbindung gab - zwischen ihm und
Arik – und zwischen ihm und Ariks Mutter. Und noch etwas wurde mir klar:
Während Mike davon keine Ahnung hatte, war Arik dem Geheimnis offenbar auf die
Spur gekommen. Allerdings blieben die wesentlichen Fragen nach wie vor
unbeantwortet, und einige neue kamen unvermutet hinzu: Was verband sie?
Warum dieser erschreckende Hass in Ariks Gesicht? Und warum diese Geheimnistuerei
von Raphael? Er hatte Mike offenbar von vorne bis hinten belogen. Wieso? Was
hatte er zu verbergen?
Mir schwirrte
der Kopf. Da hatte ich gedacht, endlich dem Geheimnis, das Arik umgab, näher zu
kommen, doch stattdessen hatte ich nun mehr Fragen als zuvor. Und keiner schien
bereit oder in der Lage, sie mir zu beantworten.
Ich wartete, bis
der Tisch abgeräumt und auch Mike in seinem Zimmer verschwunden war, bevor ich
mich an den PC setzte. Im Internet hatte ich unter „ Maid of the Mist “
haufenweise Treffer, aber alle bezogen sich auf das gleichnamige Boot an den
Niagarafällen. Ich fügte nacheinander „Skye“ und – nachdem ich festgestellt
hatte, dass North Uist eine Nachbarinsel davon war – „North Uist“ hinzu, was
mir aber auch keinen Erfolg brachte. Dann kombinierte ich Einzelteile des
Namens mit diversen schottischen Orten, aber alles vergebens. Nach einer
Dreiviertelstunde intensiver Recherche schien mir eins relativ sicher: Ein
Schiff dieses Namens gab es in ganz Schottland nicht und hatte es auch in
jüngerer Vergangenheit nicht gegeben. Und folglich konnte auch Raphaels
Geschichte von Mikes Geburt nicht stimmen.
Nachdem ich in
mein Zimmer zurückgekehrt war und vorsichtshalber den Schlüssel herumgedreht
hatte, nahm ich das Gedicht aus seinem Versteck in meiner Wäscheschublade
(etwas Originelleres war mir nicht eingefallen) und studierte es erneut. Dabei
tauchte vor meinem geistigen Auge wieder das Gemälde von dem Mädchen im Nebel
auf, das mich so ernst ansah, als wollte es mir etwas mitteilen – etwas
Wichtiges, das direkt vor meinen Augen lag, das ich aber bisher übersehen
hatte. Der Nebel nahm zu, das Mädchen wurde immer mehr von ihm verdeckt, nur
ihr Blick wurde immer beschwörender – und da endlich fiel es mir wie Schuppen
von den Augen. Die Maid of the Mist – das war gar kein Schiff! Daswar
sie! Das Mädchen auf dem Gemälde – dieses Mädchen – das Mädchen im
Nebel ! Mikes Mutter.
Ich war wie
elektrisiert. Raphael hatte Mike tatsächlich über seinen Geburtsort belogen.
Und ich war mir auf einmal hundertprozentig sicher, dass er ebenfalls auf North
Uist geboren war, so wie Arik. Nur – warum er das nicht wissen sollte, darüber
wagte ich nicht weiter zu spekulieren. Zu ungeheuerlich waren die
Möglichkeiten. Und keines der Szenarien, die nach und nach in meinem Kopf
Gestalt annahmen, ließ Raphael in einem guten Licht dastehen. Im Gegenteil.
Plötzlich wurde
mein Bedürfnis, Arik wiederzusehen und ihn zur Rede zu stellen, übermächtig.
Und wenn er mir tausendmal aus dem Weg ging. Er schuldete mir zumindest eine
Erklärung.
Mike ertappte
mich, als ich meine Jacke und Schuhe anzog. „Wo willst du hin?“
„Zu Arik.“
Er zögerte kurz,
dann fragte er zu meinem Erstaunen: „Soll ich dich hiinfahren?“
Das hielt ich
für keine gute Idee. Auch wenn die erhoffte Erklärung höchstwahrscheinlich auch
Mike etwas anging (vermutlich sogar weitaus mehr als mich, wie ich mir
ehrlicherweise eingestand), wollte ich zunächst lieber allein mit Arik
sprechen, und wenn er Mike sähe, würde er uns wohl noch nicht einmal die Tür
öffnen. Nicht nach dem Blick, den er ihm am Flughafen zugeworfen hatte.
„Ich kann ja
auch im Auto warten.“
Also gut, warum
eigentlich nicht? So sparte ich mir zumindest das lästige Umsteigen mit dem
Bus.
Schon nach etwa
zwanzig Minuten – der Bus hätte mindestens doppelt so lange gebraucht – bogen
wir in die mir mittlerweile bekannte schäbige Straße ein, in der Arik wohnte.
Mikes Blick sprach Bände, aber er sagte nichts.
Während er im
Auto wartete, eilte ich die Treppen hinauf. Vor Ariks Wohnungstür blieb ich
schwer atmend stehen. Ich zögerte kurz, dann drückte ich ohne große Hoffnung –
das Motorrad war nirgends zu sehen gewesen – die Klingel. Es schrillte, doch
sonst geschah nichts. Ich wiederholte die Prozedur noch zweimal, aber mit dem gleichen
Ergebnis. Auch lautes Klopfen half nicht
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