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Hinter der Tür

Hinter der Tür

Titel: Hinter der Tür Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Henry Slesar
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und Du weißt, wie dringend ich meine zehn Stunden brauche – erinnerst Du Dich, ich habe Dir erzählt, was für ein Wrack ich damals war, als Gail geboren wurde und wegen der verdammten Blähungen andauernd weinte. Natürlich war die Kinderschwester da, aber Cressie wachte natürlich auf, sobald sie das jämmerliche Geschrei hörte – na, falls Du Dich wunderst, Mrs. B. kümmert sich um Gail in dieser schlimmen Zeit, die hoffentlich nicht lange dauert. Ebensowenig wie dieser schlimme Krieg oder Polizeieinsatz oder was uns da all die Menschenleben kostet in diesem komischen Land, von dem die Hälfte von uns vor 1950 nichts gehört hatte. Wenn alles vorbei ist, nehmen wir bestimmt Dein Angebot an und besuchen Dich und Piers in London. Schreib bald, auch wenn Du dazu eine Deiner Gänsefedern benutzen mußt.
    Viele Grüße
    Teddy
    Gail war mit ihrem Brief als erste fertig. Sie öffnete den dritten Umschlag noch nicht, sondern starrte Steve an und wartete auf seinen Kommentar.
    »Na gut«, sagte er. »Deine Mutter hat also auch Geräusche gehört. Wenn du meinst, daß darin eine Parallele liegt, hast du recht. Ich habe dir schon einmal gesagt, daß dieses Haus ein natürlicher Geräuscheerzeuger ist. Es quietscht und ächzt und hat wackelnde Fensterläden und lockere Dielen, dazu die Mäuse, die in den Wänden die zweite Basebailiga austragen …«
    »Mein Vater hat die Geräusche aber nicht gehört, Steve. Nur meine Mutter. Sie war die einzige, wie auch ich die einzige bin.«
    »Er hat eben fest geschlafen, offenbar hast du nicht gelesen, was er über seine zehn Stunden Schlaf geschrieben hat. Wahrscheinlich hat ihn immer nur deine Mutter wachgerüttelt. Und ich wette, deine Mrs. Bellinger ist auch so ein Siebenschläfer.«
    Anstelle einer Antwort reichte sie ihm den zweiten Brief. »Lies das.«
    Steve besah sich das Datum. 9. April 1953. Abgestempelt in Washington D.C.
    Lieber Gil,
    tut mir leid, daß es seit meinem letzten Brief so lange gedauert hat, aber nach der Zeit zu urteilen, die zwischen Deinen letzten beiden Briefen liegt, kann ich nur annehmen, daß Du den Gänsekiel nicht gefunden hast, der Dich zu einem besseren Briefeschreiber macht. Tut mir leid, wenn dieser Witz nicht sehr lustig ist, aber ich bin in Anbetracht von Cressies Gesundheitszustand nicht besonders zum Scherzen aufgelegt. Ich will Dir lieber gleich sagen, daß sie bei einem Psychiater in Behandlung ist – einem Armeeoffizier, der in Philadelphia eine ausgezeichnete Praxis hatte. Vogel heißt er. Cressie widersetzte sich meinem Vorschlag, und wir mußten es sehr raffiniert anstellen, damit sie sich überhaupt von dem Mann untersuchen ließ. Er gehört zu den Typen, die kein vorschnelles Urteil abgeben, aber er hat sich mir gegenüber ziemlich offen geäußert und gesagt, er habe bei Cressie Anzeichen für eine schizoide Persönlichkeit gefunden, wie er es ausdrückte. Soweit ich das verstehe, findet bei ihr eine Art Dissoziation statt, bitte verlange keine näheren Erklärungen. Er vermutet, daß ihre akustischen Halluzinationen mit Kindheitsängsten zu tun haben – offenbar Angst vor Zudringlichkeiten, vor Einbrechern und Räubern, die ihr Haus betreten … allerdings sagte er auch, der Begriff »Haus« sei in diesem Zusammenhang ein sehr ungenauer Begriff, was mich doch sehr beunruhigt hat…
    Steve senkte den Brief und stieß ein Knurren aus. »Hör mal, ich glaube, diese Lesesitzung ist doch keine so gute Idee. Besonders wenn du die Briefe wörtlicher nimmst, als es nötig ist.«
    »Was könnte denn deutlicher sein?« fragte Gail. »Die Briefe sprechen von ihr, Steve, von meiner Mutter. Sie enthalten die Wahrheit über sie, Dinge, die ich bisher nicht gewußt habe.«
    »Vielleicht ist es besser, wenn du sie nicht kennst.« Aber sie begann mit dem dritten Brief, und ihr entsetzter Gesichtsausdruck veranlaßte Steve, sich hinter sie zu knien und über ihre Schulter mitzulesen.
    Der Brief trug das Datum vom 22. Juni 1953 und kam ebenfalls aus Washington D.C.
    Lieber Gil,
    Du hast wahrscheinlich schon von dem plötzlichen Tod Col. Sieferts gehört. Es war für uns alle ein großer Schock, und wenn Du es genau wissen willst, ja, ich glaube, mein Status hier wird sich ändern. Die Möglichkeit eines aktiven Einsatzes ist größer denn je, und offen gesagt weiß ich nicht, ob sich meine Verhältnisse durch einen Marschbefehl nach Übersee verbessern oder verschlechtern würden. Vermutlich könnte ich einen solchen Einsatz hinausschieben, wenn

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