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Hinter der Tür

Hinter der Tür

Titel: Hinter der Tür Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Henry Slesar
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Ablenkung so willkommen war. »Von wann ist denn der Brief?«
    »14. Februar 1953.«
    »Schau dir die anderen Daten an. Vielleicht möchtest du sie in der richtigen Reihenfolge lesen.«
    »Ja«, sagte Gail und begann die Umschläge im Schoß zu sortieren. »Der erste scheint aus dem Jahr davor zu sein, vom 4. Dezember 1952.« Sie öffnete den Brief; das Papier war noch weiß und frisch. Steve warf einen verstohlenen Blick auf die sauber getippte Anrede. »Lieber Gil«, hieß es da. »Ich muß dir leider berichten, daß Cressies Krankheit eine Auslandsreise…« Mehr konnte er nicht sehen; er vermutete, daß das nächste Wort »unmöglich« lautete. Da er selbst nicht lesen durfte, versuchte er statt dessen in Gails Gesicht zu lesen. Sie studierte den Brief von Anfang bis Ende, und Steve sah etwas »Unmögliches« auf ihrem Gesicht: es wurde noch bleicher, als es vorher gewesen war.
    »Was ist? Was steht in dem Brief?« Sie antwortete nicht. »Etwas über die Krankheit deiner Mutter?«
    »Damals muß es gerade angefangen haben, Steve; wie schrecklich!«
    »Wovon redest du? Soweit ich weiß, ging es deiner Mutter ausgezeichnet, bis dein Vater in Korea fiel. Sie ging doch erst hinterher in Stücke.«
    Gail schüttelte den Kopf, und als wolle sie sein Verständnis erzwingen, schob sie ihm den Brief in die Hand. Er las den Text, während sie den zweiten Umschlag öffnete.
    Lieber Gil!
    Ich muß Dir leider berichten, daß Cressies Krankheit eine Auslandsreise unmöglich macht, ehe ich in die Armee eintrete. Nach Col. Sieferts Bescheid muß ich mich am 5. März 1953 bei ihm in Washington melden, und ich weiß einfach nicht, ob es C. so gut gehen wird, daß wir rechtzeitig losfahren können, um die Reise noch lohnend zu machen. Trotzdem vielen Dank für die Einladung und für Deine lieben Genesungswünsche. Eine Besserung ist bisher leider noch nicht eingetreten, wie Du Dir vorstellen kannst. Was mir wirklich Sorgen macht, Gilly, und bitte sprich zu niemandem darüber – und erwähne es auch nicht in Deinen Briefen an mich, denn Du weißt ja, wie es in einem Haushalt voller Dienstboten etc. zugeht, zuviel Interesse für Briefe und so weiter. Ich habe einmal ein Hausmädchen namens Normalie (was für ein Name!) erwischt, wie sie in der Küche über dem dampfenden Teetopf einen Umschlag öffnete und wohl hoffte, es wäre Geld darin oder ein paar saftige Klatschgeschichten. Soweit ich mich erinnere, war es aber nur eine Schneiderrechnung. Bitte erwähne also nichts von dem, was ich Dir berichte – jedenfalls hat Cressie im letzten Monat keine schlimme Lungenentzündung gehabt, auch wenn das die offizielle Diagnose war, die wir allgemein verbreitet haben. In Wirklichkeit war das Fieber ziemlich schwach und hielt nur vierundzwanzig Stunden an. Daß Dr. Halevy sie so lange im Bett behielt, lag an einem Anflug von »Gehirnentzündung«, wie er es nennt. Um ehrlich zu sein, Gil, ich weiß nicht, ob es so etwas überhaupt gibt, oder ob es sich nicht nur um eine Art viktorianischen Euphemismus handelt, der die »Hirngespinste« oder leichten Nervenzusammenbrüche umschreiben sollte, die unsere Vorfahren in dieser unmöglichen Gesellschaft ständig hatten. Wie dem auch sei, Dr. Halevy hat es jedenfalls so genannt und mir gesagt, ich solle mir nicht zu viele Sorgen machen; Cressie sei eben nervös und beunruhigt durch die Tatsache, daß ich in die Armee eintrete und mir womöglich auf irgendeinem Schlachtfeld den Kopf abschießen lasse. Zufällig weiß ich, daß sie sich über meine freiwillige Meldung als Offizier wirklich aufregt, aber ich habe ihr hundertmal gesagt, daß Siefert mich gebeten hat, in seinem Stab zu dienen. Der alte Knabe kommt bestimmt nicht auf Hörweite an eine Schlacht heran, wenn er sich seit unserer Akademiezeit nicht völlig geändert hat. Tatsächlich ist der Colonel schon ziemlich taub, nach meinem letzten Anruf bei ihm zu urteilen. In letzter Zeit habe ich mir übrigens gewünscht, Cressie würde auch etwas schlechter hören, denn das ist ihr Hauptproblem und macht mir die größten Sorgen. Sie hört so allerlei – seltsame Geräusche, ein Rumsen und Bumsen im ganzen Haus. Jede Nacht geht das so, und sie weckt mich zwei- oder dreimal und ist überzeugt, daß überall Einbrecher herumschleichen. Am Tag ist sie ganz normal, doch sobald die Sonne untergeht, weiß ich, daß sie sich wieder genauso benehmen wird. Um ehrlich zu sein, habe ich manchmal Beklemmungen, wenn es Abend wird. Ich kann nie durchschlafen,

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