Hinter Geschlossenen Lidern
sollte das auch hinführen, wenn ich ihm gestand, dass ich mich in ihn verguckt hatte und an kaum etwas anderes dachte, als mit ihm zu schlafen? Ich ließ die Hosen runter und er war angewidert. Das brauchte ich jetzt nicht. Und das Vertrauen, das zwischen uns war, würde ich mit meinem Geständnis auch zerstören.
Nein, ich sollte stattdessen daran denken, wie ich ihm mit seinen Problemen helfen konnte. Ich musste wissen, wer diese Frau war, der er hinterher trauerte und mit der er mich in der Nacht wohl verwechselt hatte. Vielleicht sollte ich sein Zimmer durchsuchen. Das war zwar nicht die feine Art, aber ich konnte Clive einfach nicht länger leiden sehen. Und in der Zwischenzeit würde ich dafür sorgen, dass er sich wohl fühlte mit mir. Noch mehr Probleme konnte er nicht brauchen, da musste ich mit meinen Gefühlen einfach mal zurückstecken.
Wenn ich so darüber nachdachte, hatte er vor seinem gestrigen Ausrutscher in letzter Zeit eigentlich viel weniger getrunken als früher – selten mehr als ein Glas am Abend. Es half ihm also, nicht mehr allein zu sein – ein guter Anfang. Darauf musste ich aufbauen. Unsere kleine Gemeinschaft musste Ablenkung und tröstliche Zuflucht zugleich für ihn sein. Ich durfte sie jetzt nicht aufs Spiel setzen, nur weil ich mal wieder meinen Schwanz nicht im Griff hatte.
Es zog sich wie Kaugummi, doch irgendwann ging auch dieses Wochenende vorbei. Es war Montagmorgen, der Wecker klingelte mich aus einem unruhigen Schlaf und ich machte mich bereit, in die Kanzlei zu fahren.
Obwohl er erst später los musste, war Clive schon auf und hatte Kaffee gekocht. Seine Augenringe waren so dunkel, als hätte er zwei Tage nicht geschlafen. Aber er grüßte mich lächelnd und drückte mir den Kaffeebecher in die Hand, mit viel Milch und Zucker – genau wie ich ihn mochte.
In Sachen Kaffee war ich eben ein Weichei – und leider nicht nur da. Die letzten Tage ließen sich nicht beschönigen. Wenn ich ein richtiger Mann wäre, hätte ich mich vor Clive längst geoutet, damit er wusste, worauf er sich bei mir einließ, wenn er mit mir zusammenlebte. Stattdessen bespannte ich ihn heimlich. Was war ich nur für ein Loser!
Clive trank seinen Kaffee schwarz und schweigend. Es war deutlich, dass er litt. Er musste noch Kontakt zu ihr haben. Anders war dieses Auf und Ab seiner Verzweiflung nicht zu erklären. War sie vielleicht sogar eine seiner Angestellten? Nein, wohl nicht. Er hatte sie auf der Uni kennengelernt. Wahrscheinlich arbeitete sie inzwischen in einer der vielen Anwaltskanzleien oder in seiner Bank hier in Boston. Vielleicht waren sie sogar immer noch befreundet und er sah sie hin und wieder auf einen Kaffee auf dem Weg zur Arbeit oder bei seinem Lieblingsitaliener.
Ich hätte so gerne mit ihm gesprochen, aber ich war schon spät dran. Mein Vater wartete nicht gerne. Also verabschiedete ich mich mit einem kumpelhaften Schlag gegen seinen Bizeps.
“Halt die Ohren steif, Mann, und sag es ihr endlich. Das kann ja keiner mehr mitansehen.”
Sechs
Auf der Fahrt ins Büro wanderten meine Gedanken immer wieder zu Clive zurück. Es tat mir weh, ihn so leiden zu sehen. Manchmal schien er richtig apathisch zu sein. Er wollte es nicht, aber so ging es nicht mehr weiter, ich musste ihn einfach zum Reden bringen. Dann konnte ich zwischen ihm und ihr vielleicht vermitteln. Er musste es doch wenigstens versuchen! Vielleicht hatte er ja Glück oder zumindest auf die Dauer Erfolg. So geduldig und charakterstark, wie Clive war, musste er einfach jeden von sich überzeugen.
Ich jedenfalls fand es unwiderstehlich, wenn ich merkte, dass jemand wirklich verliebt in mich war und sich hartnäckig zum Affen machte, um mein Interesse zu wecken. Wenn es schief ging, konnte Clive immer noch überlegen, wie er ihr effektiver aus dem Weg ging, um endlich über sie hinwegzukommen.
So etwas dauerte nämlich. Niemand wusste das besser als ich. Wenn er nicht aufpasste, blieb er sein Leben lang allein. Insofern war ich froh, dass Braden damals einfach verschwunden war, auch wenn ich irgendwie immer noch nicht richtig damit abschließen konnte. Seit ich denken konnte, liebte ich ihn und dann löste er sich von einem Tag auf den anderen in Luft auf und ich wusste nicht weshalb. Da war es nicht so einfach, ihn zu vergessen. Es war wie bei meinem Weisheitszahn, der noch im Fleisch steckte und sich immer mal wieder entzündete. Ich hätte ihn längst herausoperieren lassen sollen, aber ich hatte Angst und plagte
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