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Hinter verschlossenen Türen

Titel: Hinter verschlossenen Türen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anne Kathrine Green
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den Balkon hinaus. Er blickte schaudernd über die Brüstung in die Tiefe und vermochte kaum die finstern Gedanken zu verscheuchen, die sich seiner dabei bemächtigten. Da war ihm, als vernähme er einen seltsamen Laut, aber woher derselbe kam, ließ sich nicht unterscheiden. Er glaubte sich getäuscht zu haben und wollte eben voll unheimlicher Gefühle vor dem eisigen Wind ins Zimmer flüchten, als eine dumpfe Stimme, die aus dem Boden aufzusteigen schien, seinen Namen nannte.
    Im selben Augenblick rief Q., der drinnen im Dunkeln stand: Ich gehe schnell einmal hinunter, mich da umzuschauen. Vielleicht ist er doch vorbeigeschlichen, ohne daß ich's bemerkt habe; ich muß mich erst davon überzeugen.
    Ohne die Antwort abzuwarten, begann er, geräuschlos wie eine Katze, die Leiter hinabzuklettern.
    Rasch war der Doktor wieder auf dem Balkon.
    Molesworth, rief er, sind Sie da?
    Wie groß aber war seine Bestürzung, als schon im nächsten Augenblick eine Gestalt schattengleich aus der Nacht auftauchte und vor ihm stand.
    Still, flüsterte Molesworth hastig, noch bin ich hier, aber ich muß fort. Bringen Sie mir den Ueberrock, Kameron, und nehmen Sie meinen letzten Abschiedsgruß, denn wir sehen uns wohl niemals wieder.
    Aber wo kommen Sie her? Unmöglich haben Sie sich doch an den Händen vom Balkon herabhängen lassen?
    Nein, es ist eine Falltür im Boden, und darunter hängt ein Boot, in welches ich niederkauerte. Ich hoffe, es wird mich sicher ans andere Ufer des Flusses bringen; sollte es zertrümmert werden, so entschädigen Sie den Eigentümer, von dem ich es entlehnen muß. Es kann mittels einer Winde ohne Schwierigkeit ins Wasser gelassen werden. Gern hätte ich den Versuch gleich gemacht, aber es war zu dunkel; ich muß das erste Morgengrauen abwarten. Halten Sie den Polizisten von diesem Teil des Hauses fern, bis ich außer Sicht bin. Und nun schnell meinen Rock!
    Kameron schüttelte die ihm dargebotene Hand zum Abschied und stürzte durch den Gang, den Ueberzieher zu holen. Eben kam er damit zurück, um ihn Molesworth zu reichen, als der Detektiv plötzlich zwischen sie sprang und lachend in die zwei bestürzten Gesichter blickte. Sieh da, nun ist unser Freund doch noch zum Vorschein gekommen, rief Q. vergnügt ans. Nun, das ist schön, um so besser wird uns jetzt das Frühstück munden.

Vierunddreißigstes Kapitel.
    Kameron sah seine Hoffnungen jäh zertrümmert, aber die Selbstbeherrschung verließ ihn nicht im entscheidenden Augenblick.
    Allerdings eine Ueberraschung, sagte er in gleichmütigem Ton, Doktor Molesworth hier ohne Verkleidung begrüßen zu dürfen! Ein bequemer Platz am Feuer wird ihm nicht unwillkommen sein, denn er muß arg gelitten haben unter der Kälte, da ich mir selbstsüchtigerweise seinen Rock angeeignet hatte. Sich bei solchem Sturm am Balkongeländer hängend festzuhalten ist auch kein Kinderspiel.
    Das will ich meinen, fiel der Detektiv verwundert ein. Haben Sie wirklich auf diese Art Ihre nächtlichen Fieberphantasien abgekühlt? wandte er sich an den Doktor, der in finsterem Schweigen verharrte und dem vorlauten Q. nur einen wahrhaft vernichtenden Blick zuwarf. Dieser ließ sich jedoch nicht aus seiner heitern Laune bringen. Ohne die geringste Verlegenheit suchte er mit gutmütigem Scherz den beiden andern über die peinliche Lage hinwegzuhelfen, deren tragische Bedeutung er natürlich nicht entfernt ahnen konnte.
    Er lud die Herren ein, am Kamin Platz zu nehmen, während er mit unermüdlichem Eifer beschäftigt war, ein möglichst schmackhaftes Frühstück zu bereiten; auch würzte er das Mahl durch allerhand lustige Geschichten und spielte den angenehmen Wirt, wenn auch, wie er lachend zugab, auf Kosten des abwesenden Besitzers. Alsbald stellten sich auch die drei Fremden von unten in ihrer Mitte ein, von Q.'s fröhlichem Gelächter herbeigezogen. Damit schwand für die beiden Doktoren auch die letzte Aussicht, unbemerkt miteinander verkehren zu können.
    Der dämmernde Morgen zeigte den Unglücksgefährten ein wenig hoffnungsreiches Bild. Soweit das Auge reichte, war nichts zu sehen als eine einzige Schneefläche, kein Haus, keine Straße, nirgends eine Spur menschlichen Lebens. Die Wut des Sturmes schien zwar etwas nachzulassen, doch waren die Schneewehen noch immer so tief, daß man bei einem Schritt vor die Tür hinaus bis über die Knie in der lockern Masse versank. So war denn das Haus, in dem sie nur eine zeitweilige Unterkunft zu suchen dachten, für sie zum Gefängnis

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