Hinter verschlossenen Türen
in dem ein helles Feuer knisterte, fragte ihn die freundliche Wirtin angelegentlich, ob er denn auch gehört habe, wen Doktor Molesworth zu heiraten gedenke.
Der Name ist mir entfallen, erhielt sie zur Antwort; ich bin zu alt, um mich für Liebesgeschichten zu interessieren, auch sind für mich die Mädchen alle gleich – bis auf eine , fügte er mit wohlgefälligem Lächeln hinzu und zog eine Photographie aus der Tasche, die er zärtlich betrachtete.
Wohl Ihre Tochter?
Meine Enkelin, war die stolze Erwiderung.
Sie beugte sich neugierig vor, um das Bild zu sehen.
Du meine Güte, rief sie, das ist ja Mildred Farley.
Mildred Farley? wiederholte er in überraschtem Ton. I bewahre, es ist Johanna Hartlieb.
Zeigen Sie doch her, rief sie, und Gryce händigte ihr bereitwilligst das Bildnis von Genofeva Gretorex ein, hoch erfreut, daß sein Kunstgriff so wohl gelungen war. Die gute Frau kannte also jene Mildred Farley, die offenbar der Genofeva Gretorex zum Verwechseln ähnlich sah. Kein Zweifel mehr, Mildred mußte das Mädchen sein, das auch er für das Original des Bildes gehalten hatte. Um ihr Schicksal weiter zu verfolgen, war er ja noch zu so später Nachtstunde hergekommen, in der Hoffnung, womöglich ihren Namen und Wohnort zu erfahren.
Die Frau schüttelte verwundert den Kopf. Wie doch diese Photographien trügen, sagte sie. Ich hätte darauf geschworen, daß es Mildreds Gesicht ist, aber jetzt sehe ich wohl, sie trägt ihr Haar ganz anders und hat weit bessere Kleider an als Mildred je welche besaß. Sonst ist sie's aber,wie sie leibt und lebt. Ich möchte dies Fräulein – Fräulein –
Hartlieb, half der Detektiv aus.
Ich möchte sie wirklich einmal mit Mildred zusammen sehen.
Sie konnte sich kaum von dem Anblick des Bildes losreißen und sagte endlich: Könnte ich es nur Mildred einmal zeigen.
Das war gerade, was Gryce wünschte.
Warum nicht? entgegnete er, wenn sie nicht zu weit wohnt; vielleicht ginge es heute abend noch.
Sie wohnt bei mir im vierten Stock und ist Schneiderin. Das arme Ding sitzt oft bis tief in die Nacht hinein bei der Arbeit. Wäre sie da, ich würde sie gewiß noch wach finden, aber sie ist auf ein paar Tage verreist zu ihrer Erholung. Sie wollte heute nachmittag zurückkommen, doch habe ich nichts von ihr gesehen. Ich hoffte immer, aus Doktor Molesworth und ihr würde noch ein Paar werden: er solch ein tüchtiger Mensch und sie ein so reizendes Mädchen!
Vielleicht ist sie es, die er heiraten will.
Bewahre, sonst hätten sie mir's gesagt; ich habe ihnen ja so oft zugeredet, und sie wissen beide, wie lieb es mir wäre. Noch kann ich's überhaupt nicht glauben, daß der Doktor die Absicht hat. – Aber Marie, was gibt's denn noch heute Abend?
Das Dienstmädchen, das an der Tür erschien, schrak zurück, als es des fremden Besuchers ansichtig ward. Die Frau eilte auf den Gang hinaus und kam gleich darauf mit einem Papier in der Hand wieder zurück.
Ist nur so etwas erhört, rief sie, da hat Doktor Molesworth eigenhändig ein Briefchen für mich zurückgelassen, und die Marie vergißt es mir zu geben. Was kann er nur wollen?
Ihr wachsendes Erstaunen, während sie die wenigenZeilen des Briefes las, gipfelte in dem freudigen Ausruf: Welches Glück, es ist doch Mildred und keine andere. Er schreibt, die Hochzeit finde heute statt, und morgen bringe er sie heim. Kein Wort haben sie mir davon gesagt und wissen doch, wie gern ich sie beide habe. Da werd' eine andere klug daraus!
Während sie in ihrem Selbstgespräch fortfuhr und sich vor Freuden kaum zu fassen wußte, band Gryce sein Halstuch wieder um und begann sich zum Aufbruch zu rüsten.
In diesem Augenblick fuhr unten ein Wagen vor.
Ich glaube wahrhaftig, sie kommen, rief die Wirtin. Kaum aber hatte sie einen Blick zum Fenster hinausgeworfen, als sie erschreckt zurückprallte und in heftiger Aufregung nach der Treppe stürzte.
Gryce, der sich noch rechtzeitig daran erinnerte, daß er nicht aus seiner Rolle fallen dürfe, blieb in matter und hinfälliger Haltung in einer Ecke stehen. Schon vernahm er Stimmen auf dem Flur, und sein sonst so unerschütterlicher Gleichmut drohte ihn zu verlassen, als er gleich darauf zwei Männer eintreten sah, welche eine schwere Bürde trugen, den anscheinend leblosen Körper eines jungen Mädchens. Einer der Träger mußte wohl Doktor Molesworth sein, dem Aeußern nach zu urteilen. Die Wirtin folgte ihnen händeringend und schluchzend.
Mildred, Mildred, du armes Kind, jammerte sie, was
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