Hintergangen
hineindrängen – ich nehme an, das ist für Stiefeltern ganz normal. Als ich nämlich heute früh schließlich nach unten gekommen bin – sämtliche Tränenspuren zum Glück getilgt –, habe ich sie im kleinen Wohnzimmer gefunden. Alexa hat gekichert wegen irgendetwas, das Hugo gesagt hatte. Ich habe mein fröhlichstes Lächeln aufgesetzt.
»Daddy erzählt mir gerade eine Witzgeschichte«, rief Alexa. »Komm, Daddy, erzähl zu Ende.«
Ich staune immer wieder über die Fähigkeit dieses Kindes, in deutlichen Sätzen zu sprechen, allerdings bezahlt Annabel ihr ja auch mehrmals pro Woche Konversationsunterricht.
Doch Hugo hat sich geweigert, die Geschichte zu Ende zu erzählen, und ich hatte das Gefühl, einen sehr besonderen Moment unterbrochen zu haben.
»Jetzt nicht, Alexa. Bestimmt interessiert Laura sich nicht für meine Witzgeschichte.«
»Natürlich, Hugo. Ich würde sie furchtbar gern hören.«
Ich habe ihn angelächelt, er sollte nicht wissen, wie weh er mir gestern Abend getan hatte.
»Keine Geschichten mehr, Alexa. Iss jetzt bitte dein Frühstück auf.«
Ich war erst unentschlossen, doch dann hat mich Hugo damit überrascht, dass er von seinem Platz aufgestanden ist und mir lächelnd und mit einer leichten, schwungvollen Bewegung einen Stuhl an den Tisch gerückt hat. Ich war erleichtert. Alles wird gut, habe ich gedacht, ich liebe meinen Mann und bin mir sicher, er liebt mich auch. Wir müssen uns eben noch aneinander gewöhnen.
In ein paar Stunden reisen wir also ab. Ich bin schon wieder ganz aufgeregt. Ich ruhe mich in meinem hübschen Zimmer nur etwas aus. Es ist wirklich hübsch. Hugo hat sich offensichtlich eine Menge Gedanken darüber gemacht. Ich wollte auch das andere Zimmer sehen, von dem er mir erzählt hat – das ich ziemlich unschön das »Sexzimmer« nenne –, doch er hatte den Schlüssel nicht bei sich. Das muss also warten. Vielleicht wird es bis zum Ende der Flitterwochen ja vollkommen unnötig sein, weil wir bis dahin all den Unsinn geklärt haben.
In aller Liebe,
Laura
16. Kapitel
A uf der Fahrt zu Hugos Exfrau war Tom froh, etwas Zeit zum Nachdenken zu haben. Nach dem, was Becky von Stella erfahren hatte, musste er noch mit Hannah reden, aber nicht, solange Alexa mit im Auto war.
Beckys Beobachtungen in Bezug auf Laura waren allerdings interessant.
»Die hat sich anscheinend mehr um ihre Oliven gesorgt als darum, ob ihr Mann nun ein Verhältnis hatte oder nicht!«, war ihr beißender Kommentar gewesen. »Ich finde, Sie gehen ziemlich sanft mit ihr um, aber aus der ist ja schwer etwas herauszukriegen. Irgendwas stimmt da nicht. Was, weiß ich nicht, aber da ist definitiv irgendwas.«
Tom war klar, dass Becky seine Vorgehensweise nicht nachvollziehen konnte, doch fand er in einer derartigen Situation einen freundschaftlichen Umgang mit den Befragten besser. Ohne offenen Konflikt gaben die Leute in diesem Stadium der Ermittlungen im Allgemeinen viel mehr preis, als sie eigentlich wollten. Imogen war er etwas härter angegangen, weil er ihr Missbehagen gespürt hatte. Er vermutete aber, dass ihr Alibi wasserdicht war. Sie war viel zu clever, als dass sie bei etwas so leicht Nachprüfbarem lügen würde.
Bei den Mitarbeiterinnen der Stiftung war es aber etwas anderes. Er hoffte wirklich sehr, vor Ablauf des Tages Neues über das vermisste Mädchen, Danika Bojin, zu erfahren.
Endlich hielt Toms Fahrer vor einem ansehnlichen kleinen Herrenhaus, dem Zuhause von Annabel Fletcher, ihrer Tochter und dem Kindermädchen. In blassem Beige gestrichen, stand das Haus auf dem gepflegten, offenen Grundstück. Die Auffahrt mündete in einen weiten Kreisel, wo ein kleiner Springbrunnen inmitten eines Grasrondells vor dem Haus einen Blickfang bot. Das Haus war bedeutend kleiner, Toms Meinung nach jedoch viel schöner als Ashbury Park.
Er öffnete die Wagentür, um Hannah und eine bedrückte, schweigsame Alexa aussteigen zu lassen. Er empfand tiefes Mitgefühl für das Kind. Er selbst kämpfte immer noch mit dem Verlust seines älteren Bruders vor über einem Jahr und hätte, während er sich seinen gegenwärtigen aufwendigen Lebensstil nur wegen Jack überhaupt leisten konnte, liebend gern in einem möblierten Zimmer gewohnt, wenn er dafür seinen Bruder wiederbekommen hätte.
Er hatte vorher kein konkretes Bild von der ehemaligen Lady Fletcher gesehen und wusste lediglich, dass sie an die fünfzig sein musste. Die Frau, die ihn begrüßte, machte selbst seinem ungeübten Auge
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