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Hinterhalt

Titel: Hinterhalt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Garry Disher
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Wyatt bekam einen Eindruck von dem pulsierenden Leben in der Stadt und der klaren Architektur der Häuser, die wie Zahnstümpfe in die Luft ragten. Dann ging es weiter über die Hügel und Täler der Vororte. Hier teilten sich verwitterte Pfahlbauten aus Holz eine Postleitzahl mit Villen wie aus dem Bilderbuch und mit Häusern, deren Backsteinfronten nur Verblendermauerwerk war. Die Blütezeit von Lorbeer und Jacaranda war längst vorbei, statt dessen sah man ein Meer tropischer Gewächse, wild wuchernd und mit einem betörenden Duft. Die Sonne brannte ohne Erbarmen und schien dem Himmel alle Farbe zu entziehen. Mehrere Male fuhren sie am Boggo Road vorbei, dem berüchtigten, alten Gefängnis. Das unheimliche Gebäude schien den Hügel, auf dem es stand, zu dominieren. Nie hatte Wyatt ein Gemäuer gesehen, das kälter und trister war.
    Nach dem Mittagessen fuhr der Bus in südöstliche Richtung zu den Spielcasinos und Einkaufsstraßen der Gold Küste. Wyatt nutzte die Gelegenheit, um sich ein Bild von Logan City zu machen.
    Auf ihrem Weg durch die neuen Vorstädte, die sich zur Satellitenstadt zusammenballten, prägte sich Wyatt die Ausfahrten der Schnellstraße, die Aneinanderreihung von Ramschläden aus Glas und Beton und die nagelneuen Reihenhäuser dahinter genau ein. Eines war klar — wenn er dieses Ding durchziehen würde, musste er sich von diesen Straßen fern halten. Sie waren kurvig wie Puzzleteile, nirgendwo ein rechter Winkel, ein Albtraum für einen Fahrer, der sich nicht auskannte und dem noch dazu die Polizei auf den Fersen war.
    Als sie Broadbeach erreicht hatten, entfernte sich Wyatt von den anderen. Auch er hatte einen Haufen Gutscheine für Jetons oder irgendwelche Shows bekommen. Doch anstatt sie im Monte Carlo einzulösen, warf er sie in den nächstbesten Abfallbehälter und erkundete dann die Gegend zu Fuß. Sollte er die Bank ausrauben, würde er nicht sofort abhauen, sondern sich erst einmal verstecken und den Bundesstaat erst Tage, wenn nicht sogar Wochen später verlassen. Ihn interessierte, ob er an der Gold Küste untertauchen, eine andere Identität annehmen könnte; eine Identität, die sich ihm anpasste wie eine zweite Haut und durch die er zu einem unter vielen und somit unsichtbar wurde.
    In den nächsten dreißig Minuten sah er genug, um zu wissen, dass das möglich war. Er brauchte nur zu wählen zwischen Tourist, Junkie, Gigolo, Spieler oder Flaneur.
    Um achtzehn Uhr fünfundvierzig war der Bus wieder in Brisbane. Das Stadtbild hatte sich vollkommen verändert; die Rushhour war vorbei, die Bürogebäude schienen verwaist und die endlosen Straßenfluchten präsentierten sich menschenleer. Wyatt schüttelte seinen Rentnern die Hand, alle waren auf einmal Freunde geworden. Zwei Japaner strahlten ihn an. Er war gerade im Begriff zu gehen, als eine der Schwedinnen ihm einen Kuss auf den Mund drückte. Ihre Lippen schmeckten nach Salz und er nahm ihren Körpergeruch schwach wahr, angenehm und verwirrend zugleich. Sie lachte und er lachte auch, und als die Gruppe sich aufgelöst hatte, spürte er ein nervöses Verlangen nach körperlicher Nähe.
    Anna Reid nahm gleich ab. »Ich versuche die ganze Zeit, dich zu erreichen. Man hat mir gesagt, dass du ausgecheckt hast.«
    »Aber ich bin noch da.«
    Sie war gekränkt und wollte ihren Frust loswerden. »Ich habe schon gedacht, ich kann meine fünftausend als Verlust verbuchen.«
    »Keineswegs.«
    »Wir haben doch vereinbart, in Verbindung zu bleiben.«
    »Das tun wir doch auch. Hier bin ich.«
    »Nach zwei Tagen! Was ist eigentlich los?«
    Wyatt war es plötzlich Leid. »Bist du heute Abend zu Hause?«
    Pause. »Ja.«
    »Dann warte auf mich.«
    Er legte auf. In der Roma Street war ein Taxistand, an dem etwa zwanzig Taxen auf Kunden lauerten. Sein Fahrer schnippte die Zigarette weg, lehnte sich mit der Schulter lässig gegen die Tür und lenkte den Wagen nur mit einer Hand zum Coronation Drive. Er sprach kein Wort. Die Lichter am Ufer spiegelten sich im schwarzen Wasser des Flusses. In der Mitte, träge, wie eine Schachtel, lag ein Schwimmbagger. Wyatt ließ den Fahrer an einem Drive-in-Weinladen halten und kaufte eine Flasche roten Bordeaux. Ihm fiel auf, dass er das schon eine halbe Ewigkeit nicht mehr gemacht hatte.
    Anna Reids Haus lag an einem Abhang. Wyatt stieg die Stufen zu einer großen Veranda hoch. Links und rechts der Eingangstür standen Liegestühle vor hohen Fenstern. Sanftes, blaugelbes Licht fiel durch die getönten Scheiben.

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