Hiobs Brüder
unterrichteten Henry und erledigten die notwendigen Verwaltungsarbeiten, hielten sich aber weitgehend von der Halle fern. Diejenigen, die das nicht taten, trieben es genauso bunt wie Henry und seine Ritter. Mit Anstand und Moral war es hier nicht sonderlich weit her: Eine Hurenwirtin stand auf Henrys Lohnliste und bewohnte mit ihren Mädchen eine Gruppe bunter Zelte im Burghof. Und auch viele der jungen Mägde waren nicht abgeneigt, einem Ritter für ein paar Pennys die Langeweile zu vertreiben. Zwei dieser lebenslustigen Geschöpfe waren Marie und Jeanne, Zwillingsschwestern aus dem Dorf, und es dauerte nicht einmal eine Woche, bis Simon sie in der Abenddämmerung mit Wulfric und Godric in einem Speicherhaus verschwinden sah. Er errötete bei dem Gedanken an das, was sich dort abspielen würde. Es erschien ihm anstößig und sündig. Und das wiederum machte ihm zu schaffen, denn Godric und Wulfric waren völlig normale Männer mit normalen Bedürfnissen, die in einer anormalen Lebenssituation gefangen waren. Es war nicht ihre Schuld, dass sie sich mit ihrer jeweiligen Gefährtin nicht zu stiller Zweisamkeit zurückziehen konnten, wie es sich gehörte. Gott hatte sie so gemacht, wie sie waren. Erwartete er allen Ernstes, dass sie zum Dank dafür ein Leben lang Enthaltsamkeit übten?
Ja, hätte King Edmund wahrscheinlich geantwortet.
Aber das erschien Simon himmelschreiend ungerecht.
»Was drückst du dich hier an der Kapelle herum und grübelst?«, fragte Henrys Stimme plötzlich hinter ihm. »Hast du was ausgefressen und wartest auf Vater Daniel, damit er dir die Beichte abnimmt?«
Simon schüttelte den Kopf. »Ich denke, er hätte das Beichten nötiger als ich.«
»Jeder hier hat das Beichten nötiger als du. Es wird schon gemunkelt, ob du vielleicht noch Jungfrau bist.«
Simon spürte sein Gesicht heiß werden und hob trotzig das Kinn. »Ich wüsste wirklich nicht, warum die Frage von allgemeinem Interesse sein sollte, aber die Antwort lautet Nein«, erwiderte er kühl.
Edivia hatte ihn nach der Beerdigung seines Vaters und bis zu seiner Abreise nach Shropshire zu seinem Onkel Nacht um Nacht besucht. Um ihn ebenso zu trösten wie sich selbst, wusste er heute. Und um ihm das Gefühl zu geben, ein Mann zu sein, ehe er in die böse Welt hinaus musste. Die Erinnerung erfüllte ihn mit Dankbarkeit und einer Art von Zärtlichkeit, die an diesem Hof voll rauer Gesellen keinen Platz hatte.
Henry nickte, ohne ihn aus den Augen zu lassen, dann wechselte er das Thema. »Was macht Alan? Wie geht es ihm?«
Simon stieß hörbar die Luft aus. »Und ich fing an zu befürchten, du würdest niemals fragen.«
Henry schlenderte neben ihm her, bis sie an den Brunnen kamen, auf dessen Rand er sich niederließ. »Er ist nicht gerade mein Lieblingsthema«, gestand er. »Anders als du beschäftige ich mich nicht gern mit meinen Unzulänglichkeiten und Fehltritten und mache einen Bogen um Dinge, die mich beschämen.«
»Dann bist du todsicher ein glücklicherer Mann als ich«, entgegnete Simon. »Aber solltest du versehentlich doch einmal an ihn denken, quäl dich nicht gar zu sehr. Es geht ihm viel besser. Er hat sein Gedächtnis wiedererlangt.«
»Gelobt sei Jesus Christus. Und ich schätze, jetzt ist er wie ausgewechselt, was?«
»Nein. Eigentlich finde ich ihn mehr oder minder unverändert. Natürlich ist er nicht mehr so düster, wie er es früher oft war, weil er seine Vergangenheit wiedergefunden hat. Sich selbst wiedergefunden, wie er es nennt. Aber davon abgesehen, ist er derselbe wie der Mann, den ich auf der Insel kennengelernt habe. Er hat seine Frau übrigens fortgeschickt und erwirkt eine Scheidung.«
»Puh«, machte Henry. »Mit ihm ist aber wirklich nicht zu spaßen, he? Arme … wie hieß sie gleich wieder … Sophia?«
Simon hob unverbindlich die Hände. »Ich glaube, es gibt eine andere, die er will. In gewisser Weise hast du ihm also sogar einen Gefallen getan. Nur erwarte nicht, dass er das jemals eingesteht. Was du getan hast, Henry, war …«
»Ich weiß, ich weiß«, fiel der junge Plantagenet ihm hastig ins Wort, anscheinend wirklich zerknirscht. »Ehrlich, Simon, manchmal verstehe ich selbst nicht, was über mich kommt. Aber wie auch immer. Ich muss tun, was nötig ist, um Alan zu versöhnen, denn mein Onkel Gloucester schreibt, ohne Alan of Helmsby werde ich meine Krone nie bekommen, denn die Truppen meiner Mutter seien kriegsmüde, weil die Kaiserin sich seit Jahren in Devizes verkriecht und er
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