Hiobs Brüder
sie sich nur mit Mühe davon abhielt, aufzuspringen und ihm um den Hals zu fallen.
So wie er seinerseits Mühe hatte, nicht auf die Knie zu sinken, um Jesus Christus und alle Heiligen zu preisen, weil sie ihm die Gnade erwiesen hatten, ihn als vollständigen Mann zu ihr zurückkehren zu lassen.
»Habt Ihr Euch verletzt, Monseigneur?«, fragte sie höflich, ohne wirklich hochzuschauen. Mit einer winzigen Geste wies sie auf den Blutfleck am linken Ärmel.
»Nur eine kleine … Unachtsamkeit, Madame«, versicherte er und konnte nicht aufhören, sie anzustarren.
Josua weckte ihn mit einem vielsagenden Räuspern aus seiner Verzückung. »Würdet Ihr mir einen Gefallen tun, Alan?«
Der nahm sich zusammen und wandte sich dem Arzt zu. »Gewiss.«
»Heute ist Sabbat.«
Alan ging ein Licht auf. Deswegen die Stille und die leeren Gassen. »Ich bitte um Vergebung, an Eurem heiligen Tag hier so ungebeten einzufallen. Ich habe nicht daran gedacht.«
»Oh, seid unbesorgt. Wie Ruben schon sagte, kommt Ihr gerade recht. Da es nicht mehr lang bis Sonnenuntergang ist, haben wir unseren Schabbes-goj schon nach Hause geschickt …«
»Euren was?«
»Ein junger Engländer, der sich ein paar Pennys verdient, indem er am Sabbat die Dinge für uns tut, die wir nicht verrichten dürfen«, erklärte Ruben. »Er ist schon fort, aber wir brauchen einen Hammer, um diese Nüsse hier zu knacken.«
Er wies auf eine Schale auf dem Tisch, die mit Naschwerk, kleinen Küchlein, kandierten Früchten und Nüssen gefüllt war.
»Und?«, fragte Alan verständnislos.
»Tja, seht Ihr, der Hammer ist einer der Gegenstände, die wir am Sabbat nicht berühren dürfen, denn er ist ein Bauwerkzeug«, erklärte Josua. »Wir sind uns sicher, dass das nicht gilt, wenn man ihn benutzt, um Nüsse zu knacken. Aber wir streiten darüber, ob es verboten ist oder nicht, den Hammer zu berühren, um ihn zu diesem Zweck herbeizuholen …«
Alan sah unsicher von einem Bruder zum anderen. »Ihr macht Euch über mich lustig.«
»Im Gegenteil«, versicherte Ruben. »Es gibt nicht viele Dinge, die Juden ernster sind als die Sabbatregeln. Ihr würdet uns wirklich einen Gefallen tun, wisst Ihr. Vor allem Esther ist versessen auf die Nüsse.«
Dann sollte ich sie darben lassen, denn sie war hässlich zu Miriam, dachte Alan flüchtig. Er musste lachen. »Wo finde ich den Hammer?« Die Frage war ein guter Grund, Miriam wieder anzuschauen.
Sie hob ein klein wenig den Kopf und lächelte ihm zu. »Auf der Fensterbank in der Küche.«
»Dann entschuldigt mich einen Moment.« Er wandte sich ab und betrat das Haus durch die Gartentür. Die Küche war wie immer peinlich sauber, und fertig vorbereitete Speisen standen in Schalen und Schüsseln bereit, denn auch das Kochen gehörte zu den verbotenen Tätigkeiten, wie er schon von früheren Besuchen wusste.
Er fand den Hammer und brachte ihn an den Tisch. »Warum ist es verboten?«, fragte er neugierig.
Josua schaute zu seinem Jüngsten. »Willst du antworten, Moses?«
»Alle Arbeit ist am Sabbat untersagt, denn am siebten Tag ruhte der Herr«, führte der kleine Kerl aus und sah Alan dabei mit großer Ernsthaftigkeit an, als wolle er sich vergewissern, dass der ihn auch verstand. »Arbeit ist alles, was mit dem Säen und Ernten zu tun hat, das Anzünden von Feuer und alle Tätigkeiten, die für den Bau des Tempels notwendig waren. Die Gelehrten zählen neununddreißig Verrichtungen, die am Sabbat verboten sind.«
Sein Vater nickte ihm zufrieden zu. »Sehr gut, mein Sohn. Schwierig wird es dadurch, dass wir auch gehalten sind, am Sabbat die Dinge zu tun, die uns mit Freude erfüllen. Meinen Bruder zum Beispiel erfüllt schönes Tuch mit Freude. Darf er also die Ballen draußen vom Karren nehmen, weil es sein Herz erfreuen würde, sie zu berühren, obwohl es eine verbotene Verrichtung ist, am Sabbat seinem Broterwerb nachzugehen?«
»Und?«, fragte Alan fasziniert. »Darf er?«
»Wir wissen es nicht genau, aber wir neigen zu einem Nein. Und darf ich Euch am Sabbat in meine Behandlungsräume führen, um zu erfahren, wie es um Euch bestellt ist, weil die Befriedigung meiner Neugier mein Herz erfreuen würde, obwohl es hieße, meinem Broterwerb nachzugehen?«
Alan hob die Schultern. »Das Nein muss für Euch ebenso gelten wie für Euren Bruder, oder?«
Josua gab keinen Kommentar ab. Er erhob sich gemächlich und winkte Alan, ihn zu begleiten. »Nun, ich bin zuversichtlich, dass es nicht verboten ist, einen Gast am Sabbat
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