Hiobs Brüder
»Das ist ein weises Wort. Oh, es ist so gut , dass du gekommen bist, Simon de Clare. Deine Besonnenheit ist das wirksamste Mittel gegen mein Ungestüm.«
»Und dein Ungestüm das wirksamste Mittel gegen meine Verzagtheit«, bekannte Simon beschämt.
Henry schüttelte den Kopf. »Du bist nicht verzagt. Nur vorsichtig. Und das ist kein Wunder. Habt ihr aufgegessen? Dann kommt.« Er stand auf. Es war so typisch für ihn, dass er es qualvoll fand, lange still zu sitzen. »Ich zeig euch die Burg und was daraus werden soll, und dann gehen wir auf den Sandplatz und schlagen uns, was meinst du, he?«
Du wirst nicht viel Freude an mir haben, dachte Simon unbehaglich. »Besonders gut bin ich nicht«, gestand er vorsorglich. »Mein Vater hat sich mit meiner Ausbildung keine große Mühe gegeben. Er hat es nicht gesagt, aber er fand wohl, es sei Verschwendung, da ich ja doch nie auf einem Schlachtfeld stehen werde.«
»Warum nicht, in aller Welt?«, fragte Henry verständnislos, während sie die Halle verließen und hinaus in den Sonnenschein traten.
Das Licht blendete sie nach der Dämmerung im Innern, und Simon senkte eilig die Lider. »Weil ich die Fallsucht habe, das weißt du doch.«
»Na und? Es passiert doch gar nicht oft, oder?«
»Nein. Aber gern in ungünstigen Momenten. Was sollen unsere Feinde denken, wenn ich plötzlich umfalle und zucke und Schaum vor dem Mund habe?«
Ein mutwilliges Funkeln trat in Henrys Augen. »Das würde ihnen bestimmt eine Heidenangst machen. Ah, da vorn ist Pierre, mein Waffenmeister. Komm, ich mach euch bekannt. Er wird dir gefallen. Hervorragender Techniker. Er kann dich trainieren, wenn du willst.«
»Aber …«
Henry hob gebieterisch die Hand. »Kein Aber, de Clare. Ich brauche jedes Schwert, auch deins.« Er sah zu den Zwillingen. »Und ihres. Welch eine tödliche Waffe sie sein könnten mit diesen vier schnellen Händen und Füßen …«
»Sie sind Bauern, Henry«, erinnerte Simon ihn.
Der junge Franzose hob gleichmütig die Schultern. »Noch.«
Henry Plantagenet war der älteste Sohn und Erbe des Grafen von Anjou und Herzogs der Normandie, darum war es selbstverständlich, dass er einen eigenen Haushalt hatte. Simon hatte indes damit gerechnet, dass es sich um eine überschaubare Anzahl von Menschen auf irgendeinem stattlichen, aber entlegenen Gutsbesitz handeln würde, die sich aus Dienstboten, Wachen und vor allem Lehrern zusammensetzte und den jungen Edelmann wohlbehütet und in beschaulicher Atmosphäre auf seine zukünftigen Pflichten vorbereitete.
Ich hätte es besser wissen sollen, erkannte Simon. Solch ein Dasein wäre viel zu zahm für Henry Plantagenet. Tatsächlich gab es ein paar Gelehrte an seinem Hof, und wenn er keine Ausflüchte fand, widmete Henry ihnen jeden Tag zwei Stunden seiner Zeit. Er tat es bereitwilliger, seit Simon gekommen war, der sich dem Unterricht regelmäßig anschloss und gierig alles in sich aufsog, was er hörte, wenngleich er nicht lesen konnte. Henry war ihm dankbar, denn er wusste ganz genau, dass ein Herrscher heutzutage Bücherbildung besitzen musste, um in der Welt zu bestehen. Doch den Kern seines Haushalts bildete eine Schar von etwa zwei Dutzend jungen Rittern, zu denen auch einige derer zählten, die mit ihm in England gewesen waren. Allesamt waren sie ihm zutiefst ergeben, und das war kein Wunder, erkannte Simon bald, denn Henry bot ihnen ein Dasein, das hauptsächlich aus ihren beiden Lieblingsbeschäftigungen bestand: Jagen und Kämpfen. Er legte auch keinen großen Wert auf Unterwürfigkeit und Etikette. Sie waren ein verschworener, manchmal ziemlich wilder Haufen. Und als die Ritter feststellten, dass Henry den gruseligen, zusammengewachsenen Engländern freundschaftlich verbunden war, gaben sie ihre Ressentiments auf und erstreckten das Willkommen, das sie Simon bereitet hatten, auch auf Godric und Wulfric. Mit Feuereifer stürzten sie sich auf die Herausforderung, eine Kampftechnik für zwei Schwerter und vier Hände zu entwickeln, und die Zwillinge lernten mit verblüffender Schnelligkeit Französisch.
Ein wenig schockiert war Simon zu Anfang darüber gewesen, wie locker die Sitten an Henrys Hof waren. Er wusste ja bereits, wie es in einem großen, herrschaftlichen Haushalt zuging, aber im Gefolge seines Onkels Pembroke hatte es von Priestern und Mönchen nur so gewimmelt, und genau wie sie hatte Pembrokes Gemahlin auf Anstand und Moral gepocht.
Hier gab es hingegen auffallend wenige Priester und Mönche. Sie
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