Hiobs Brüder
selbst zu alt und krank sei, um das Feuer wieder zu entfachen. Nur Alan of Helmsby könne das. Falls es mir gelänge, ihn aus der wunderlichen Friedfertigkeit zu locken, in der er sich neuerdings übe.«
»Wenn Gloucester es sagt, ist es gewiss so. Was sonst stand in dem Brief?«, fragte Simon neugierig.
»Das ich so bald wie möglich zurück nach England kommen soll, ehe Stephen seinen Streit mit der Kirche beilegt. Und er schreibt, König David von Schottland könne mir den Ritterschlag erteilen, den Louis mir verwehrt – Gloucester wusste auch das, wie’s aussieht −, sodass ich die Normandie bekommen und Stephen die Stirn bieten kann. Das ist eine großartige Idee, muss ich sagen. Ich hatte noch gar nicht an den König von Schottland gedacht. Dabei ist er mein Onkel. Es könnte die Antwort auf all meine Probleme sein …«
Simon spürte ein Kribbeln der Erregung im Bauch. »Du meine Güte. Das klingt, als würde es bald ernst.«
Henry zeigte ein kleines verträumtes Lächeln, das ihn auf unbestimmte Weise gefährlich aussehen ließ. »Oh, das ist es längst, Simon. König Stephen hat das noch nicht gemerkt, weil ich bei meinem unüberlegten Besuch in England im Frühling nichts ausgerichtet habe. Aber wenn ich das nächste Mal gehe, werde ich besser vorbereitet sein. Zu einem Zeitpunkt, den ich bestimme, nicht Gloucester, auch nicht mein Vater oder Louis von Frankreich, dieser Trottel. Ich bestimme mein Schicksal, niemand sonst.«
»Gib acht, Henry«, warnte Simon. »Es ist Blasphemie, was du da redest.«
Mit der ihm eigenen Unrast sprang Henry auf die Füße und klopfte ihm lachend die Schulter. »Wenn wir nach England gehen, wird Gott Gelegenheit haben, mir zu zeigen, was er davon hält. Aber auch er muss sich entscheiden wie alle anderen. Entweder für mich oder gegen mich. Gott macht mir keine Angst.«
Norwich, August 1147
Eine Hitze wie in einer Esse lag über der Stadt, als Alan gegen Mittag ankam, und vermutlich war das der Grund, warum weit und breit kein Mensch zu sehen war im Judenviertel. Der Platz mit dem Brunnen an der Synagoge lag ebenso verwaist wie die Gassen, und oben auf der steilen Motte flirrte Norwich Castle gleißend weiß in der Sonne.
Alan saß vor dem Haus ab, führte Conan durch das offene Tor in den Hof und band ihn dort an einen eisernen Ring. Ein kleiner Handkarren mit grünen Tuchballen stand mitten im Hof. Niemand schien sich dafür zu interessieren, niemand zu befürchten, der erstbeste Langfinger, der am Tor vorbeikam und ihn sah, könne sich die Ware unter den Nagel reißen.
Alan verharrte mit leicht gesenktem Kopf, eine Hand am Zügel, und konzentrierte sich auf das, was seine Sinne ihm mitzuteilen hatten: Er hörte Vögel zwitschern. Er sah Gras, das sonnenversengt, aber nicht zertrampelt war. Die üblen Gerüche der Stadt vermischten sich mit schwachen Sommerdüften nach Heu und Rosen, Hitze und Staub, aber nicht mit Blutgeruch. Er entspannte sich. Diese Stille war beschaulich und schläfrig, nicht unheilschwanger.
Er trat durch die Pforte in den Garten und fand Josua ben Isaac und seine Familie im Schatten eines schlichten Baldachins am Tisch.
Alan verneigte sich. »Vergebt mein Eindringen, aber niemand hat mein Klopfen gehört.«
Ruben lachte vor sich hin und begrüßte ihn mit den seltsamen Worten: »Ah, Ihr kommt gerade recht, Alan of Helmsby, um einen erbaulichen, aber anstrengenden Disput zu beenden.«
Auch Josua schien erfreut, ihn zu sehen. »Alan! Schalom, mein Freund. Seid willkommen. Ich glaube, Ihr kennt meinen Sohn David und seine Esther noch nicht, oder?«
Doch, dachte Alan, denn ich habe sie zwei Wochen lang durch ein Loch in der Mauer ausspioniert, wie euch alle. Aber das sagte er nicht. Er begrüßte David, der ihn mit reservierter Höflichkeit willkommen hieß, und verneigte sich vor Esther, die den Blick sittsam gesenkt hielt, während sie seinen Gruß scheu erwiderte. Er nahm vage zur Kenntnis, dass sich trotz ihres weit fallenden Gewandes die unverkennbare Rundung einer Schwangerschaft darunter abzeichnete. Er begegnete Moses’ freudiger Begrüßung mit den passenden Worten und gab die richtigen Antworten auf die Fragen nach Oswald. In Wahrheit nahm er jedoch allein Miriam wahr. Genau wie ihre Schwägerin hielt sie die Lider gesenkt und hieß ihn mit leiser Stimme willkommen. Aber durch den dunklen Vorhang ihrer Wimpern sah er das Leuchten ihrer Augen. Ihr Körper war vollkommen still, die Hände im Schoß gefaltet, doch er wusste, dass
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