Hiobs Brüder
hatten eine dünne Eisschicht. Tau und Regen waren auf Wiesen, Schilf und Bäumen gefroren; der verfrühte Wintereinbruch hatte das weite Flachland in eine weiße Zauberwelt verwandelt. Die beinah unirdische Stille der Fens hatte Alan gutgetan, und obwohl er sich so fürchterlich nach Miriam sehnte, dass er Bauchschmerzen davon bekam, hatte er sich nicht beeilt. Er hatte an Robert of Gloucester gedacht, hatte sich erinnert und darüber nachgesonnen, dass ausgerechnet dieser Mann ihm wieder und wieder in seinen Träumen erschienen war, als er sein Gedächtnis verloren hatte, so als wolle er ihn zurückrufen. Er hatte ihn beweint, und er hätte gern für ihn gebetet, aber er wagte nicht, das Wort an Gott zu richten.
Als er nach Helmsby kam, war es vorbei mit der verzauberten Winterstille, denn wie überall wurde auch in Helmsby im November geschlachtet, und die kalte Luft war erfüllt vom Grunzen und Quieken verängstigter Tiere und dem beißenden Gestank ihrer aufgeschlitzten Leiber.
Alan machte an der Kirche halt, um ein Wort mit King Edmund zu wechseln. Er saß ab, hämmerte mit der Faust ans Portal und trat dann einen Schritt zurück.
Wie üblich dauerte es ein Weilchen, bis die Kirchentür geöffnet wurde, aber nicht King Edmund, sondern Simon de Clare stand auf der Schwelle. »Alan!« Er trat ins Freie.
»Simon.«
Sie umarmten sich kurz und brüsk. Das war üblich unter Männern von Stand, aber sie hatten es noch nie getan.
»Er ist wieder da«, rief Simon über die Schulter ins Innere der Kirche, und es dauerte nicht lange, bis Edmund, Oswald und die Zwillinge herauskamen.
»Seit wann seid ihr zurück?«, fragte Alan.
»Vorgestern«, antwortete Godric. »Wir hatten …«
»Ist dein Onkel gestorben?«, fiel Oswald ihm ins Wort.
Alan sah ihn an und legte ihm zum Gruß die Hand auf den Arm. Er hatte Oswald erklärt, warum er fortmusste. Es verstimmte ihn ein wenig, dass er Helmsby nicht verlassen konnte, ohne quasi Oswalds Segen einzuholen, aber so war es eben. »Ja, er ist tot.«
»Doch nicht Gloucester?«, fragte Simon erschrocken.
Alan nickte.
King Edmund, die Zwillinge und Simon bekreuzigten sich, und Letzterer sagte: »Es wird Henry hart treffen, wenn er das hört.«
»Bist du traurig?«, fragte Oswald Alan, wie immer gewillt, Mitgefühl und Trost zu spenden.
»Ja«, gestand Alan freimütig. »Wollen wir hinauf auf die Burg? Kein Grund, dass wir hier am Boden festfrieren, nur weil ich keine Kirche betreten darf.«
Die Gefährten willigten ein, und Alan war dankbar, dass Simon, Godric und Wulfric ihn nicht mit Fragen nach seinem Kirchenverweis bedrängten. Er nahm an, wenn sie schon zwei Tage hier waren, hatten sie ohnehin längst alles erfahren.
Auf dem kurzen Weg zur Burg hinüber erkundigten sich Alan und Simon höflich nach dem Reiseverlauf des anderen und musterten einander verstohlen. Simon war äußerlich beinah unverändert, aber er war selbstbewusster geworden, stellte Alan zufrieden fest. Es hatte nichts mit dem Schwert zu tun, welches der junge Mann jetzt offen und mit größter Selbstverständlichkeit trug, sondern man sah es an seinem Schritt und hörte es an seiner Stimme.
»Schöne Waffe«, bemerkte Alan.
»Henry hat sie mir geschenkt«, erklärte Simon und seufzte. »Er ist wild entschlossen, einen Krieger aus mir zu machen.«
»Und nimmt dich hart ran, was?«
»Fürchterlich. Wenn es nach ihm ginge, würden wir von Sonnenaufgang bis Einbruch der Dunkelheit auf dem Sandplatz verbringen.«
»Es hat dir nicht geschadet, scheint mir. Du wirkst kerngesund.«
Simon hob leicht die Schultern. »Du und ich wissen, dass ich das niemals sein werde, aber du hast schon ganz recht. Ich kann mich nicht erinnern, mich je besser gefühlt zu haben.«
Miriam und Guillaumes Frau saßen zusammen an der hohen Tafel. Aldgyth hielt ihren achtwöchigen Sohn im Arm, und Alans Gemahlin unterhielt den Kleinen mit einer uralten abgeblätterten Kinderrassel, die sie in der Truhe in ihrer Kammer gefunden hatte. Als sie die Gefährten eintreten sah, legte sie das Spielzeug beiseite, stand auf und kam auf sie zu. Sie lief nicht, aber ihr Schritt war leichtfüßig und rasch, und die Augen, die Alan entgegenblickten, leuchteten vor Freude.
Er trat zu ihr und zog sie an sich – ihm war gleich, ob sie es unschicklich fand. Für einen Herzschlag presste er sie zu fest an sich, weil er einfach nicht genug von ihr spüren konnte, aber sofort besann er sich und lockerte seinen Griff, denn in der Nacht vor
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