Hiobs Spiel 1 - Frauenmörder (German Edition)

und Lo-Five durch die dicken Zellengitter, dann kraulte Hiob weiter, dorthin, wo es so grünlich schimmerte. Dann rauf und links und – Bruder, puuuhhh – in Richtung der Mykosen.
    Ein einziger Mann wurde ihm für eine Zehntelsekunde gefährlich. Als er herumwirbelte, konnte Ingless sich in ihm sehen , aber das ging vorbei. Siebzehn oder achtzehn Schüsse, was weniger war als ein Herzschlag, und der Feind mit den Spiegelaugen war Vergangenheit.
    Ingless’ Haut war nun Rüstung. Seine Augen bengalisches Feuer. Immer, wenn einer an einer Ecke auftauchte oder von irgendwoher schoss, konnte Ingless diesen Erbärmlichen sich öffnen sehen in Ganzheit. Er ortete und antwortete.
    Dies hier war wie unter Wasser, und es war leichter, nicht zu atmen, als.
    Die ihn versuchten aufzuhalten, die, die versuchten, ihn aufzuhalten, fielen, bis keiner mehr da war und der Weg frei und klar wie das bläuliche Licht eines Gletschers.
    Der Erste Raum, jenes Zimmer, das Ingless als Allererstes in diesem Labyrinth gesehen hatte, lag still, die Luft hier war klar, vielgelüftet, von einem aromatisierten Klimazerstäuber verfärbt. Der Direktor saß hinter seinem kontinentalen, dunkel gemaserten Schreibtisch und wehrte sich nicht mehr. Ein ruiniertes Wesen. Die Pistole in seiner Schreibtischschublade blieb ein Geschenk seiner Frau.
    »Bringen Sie’s hinter sich, Ingless. Töten Sie mich.«
    »Vorher habe ich noch eine Frage.«
    »Welche?«
    »Als sie mich hierher brachten, um hingerichtet zu werden, da sagten Sie wortwörtlich: ›Ich verspreche Ihnen, Ingless, in Ihrer letzten Stunde werden Sie erkennen, dass es richtig ist, Sie zu töten. Sie werden erkennen, dass wir Ihnen damit einen Gefallen tun.‹ Ich habe meine letzte Stunde viermal durchlebt, Direktor, denn viermal ist meine Hinrichtung aufgehoben und verschoben worden. Ich bin viermal gestorben, und kein einziges Mal war ich Ihnen dankbar. Was ist also aus Ihrem Versprechen geworden? Haben Sie mich angelogen?«
    »Schon möglich. Was weiß ich. Herrgott, Ingless, bringen wir’s endlich hinter uns.«
    »Dürfen Sie lügen?«
    »Jeder lügt doch, oder? Jeder.«
    »Ich habe Ihnen geglaubt. Ich habe Sie geliebt. Sie waren mein Held.«
    »Was reden Sie für einen Scheiß, Ingless. Drücken Sie jetzt endlich ab oder nicht?«
    »Sie haben mich hier festgehalten und versprachen mir Wahrheit. Aber es kam keine Wahrheit. Wie ist das möglich?«
    »Es gibt keine Wahrheit.«
    »Richtig. Es gibt keine Wahrheit. Und jetzt meine Frage: Ist das meine Schuld?«
    »Häh?«
    »Habe ich die Wahrheit erschossen? War sie unter meinen Opfern, und ich habe sie nicht erkannt? Bin ich an allem schuld?«
    »Wie sollte ein einziger Mann an allem schuld sein? Ingless, Sie sind wirklich total verrückt. Die Taten eines einzigen Menschen wiegen doch niemals so viel.«
    »Die Taten eines Menschen sind ohne Bedeutung?«
    »Wahrscheinlich sogar das, ja.«
    »Dann ist es ja gut.«
    Ingless zog durch, und der Direktor drehte sich in seinem teuren Sessel so schnell, dass die Zentrifugalkraft ihm die Lippen seitlich über die Ohren zog. Dann trudelte er langsam aus, ein friedlicher Greis, Sternenbanner ohne Blau.
    Ingless stand da. Er fühlte sich seltsam ernst, ihm war gar nicht mehr nach Lachen zumute. Die Stille breitete sich in ihm aus wie eine blähende schwarze Kröte und drohte ihn zu töten. Warum war er überhaupt freigekommen? Wie hatte das passieren können, so kurz vor der Erlösung? Welche neue Qual, welche neue Folter war das? Wer lachte über ihn?
    Er brauchte ein neues Ziel, schnell. Sonst würde er verrückt werden. Keine Cops mehr, Cops waren ohne Geheimnis für ihn.
    Auf dem Schreibtisch stand in billigem Gold gerahmt das Foto der Direktorsfamilie, und da die Tochter ein hübsches Mädel war, mit einem Beißgeschirr aus Zinkdrähten im Mund, beschloss Ingless, dort hinzugehen.
    Dorthin, wo die Familien wuchsen.
    Wo die Frauen Gürtel trugen, breite Gürtel aus Metall.
    Wo Hunde in den Gärten spielten, unter einer Schaukel.
    Wo morgens Milch und Zeitung auf den Treppenabsatz fielen.
    Lithiumland.
    Otts war natürlich nicht alleine.
    Um seine Füße strich der abgespaltene und jetzt heimgekehrte Virus, ein fetter, feiger Corgi, der noch nach Hiob roch. Und neben Otts, der in dieser Ebene deutlich mehr Charisma hatte denn als Leiche, dessen schwarzgraue Silhouette hier der dunkel-dornige Halo eines wohlgeratenen Massenmörders umspielte, hockte der Dämon, ein stattlicher, leuchtender, zehnbeiniger