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Hiobs Spiel 2 - Traumtänzer

Hiobs Spiel 2 - Traumtänzer

Titel: Hiobs Spiel 2 - Traumtänzer Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tobias O. Meißner
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nicht ganz klar definiert. Oben war dort, wo man beinahe atmen konnte und wo der Körper zu schwer wurde, um noch weiter hochzukommen.
    Noch bevor er den Damm erreichte, spürte und erkannte er den Sog. Hier war die Stelle. Hier hatte Stefania Menaghi die Rolle der Ophelia bekommen.
    Wie mit Tangarmen zerrte dunkel das Einatmen des Rohrs an Hiobs Beinen. Er holte tief Luft und stieß sich hinab und versuchte sich hinzugeben. Aber es war tintig hier unten und kalt, und die Donner der platzenden Atmosphäre klangen nur wie ein leichtes Beben oder wie das Knurren eines noch unentschlossenen Hundes. Hiob hatte keine Unterwasserlampe, deshalb konnte er fast überhaupt nichts sehen, obwohl seine Augen weit aufgerissen war und die vertraute Salzigkeit des Wassers seine Augäpfel liebkoste. Der Sog schien ihn schmal zu machen, ihn wie einen Flaschengeist durch einen engen Amphorenhals zerren zu wollen. Der Sog fasste mit immer mehr und immer kälter werdenden Armen nach ihm, strich seine Brust hinunter bis zum Bauch und die Innen- und Außenseiten seiner Schenkel entlang wie Zugluft. Während Hiob schmaler und schneller wurde und sich drehte, bis seine Füße voranflügelten und seine langen Haare wie ein Helmbusch hinter ihm herwehten, strudelten die sehr dunkelblauen oder äußerst tiefgrünen Gewässer gegenläufig um ihn ihm entgegen, verdoppelten dadurch scheinbar seine Beschleunigung, betonten eine Unausweichlichkeit, die im wahrsten Sinne des Wortes bestürzend war. Und plötzlich fehlte ihm alles: Atemluft, Licht, Bewegungsfreiheit. Lärm und vor allem Mut. Er konnte die dunkle Öffnung der Rohrmündung herannahen spüren wie den Saugmund eines riesigen kalten Aals, vielleicht einer Muräne, noch mit nadelscharfen Zähnen gezackt. Gekrümmt bog und streckte sich sein Leib wie der eines Fisches, dem ein eingeschlagener Angelhaken quer im zerfetzenden Maul reißt, oder der schon zwischen Steinen liegt und dessen Kiemen zuckend nichts mehr fassen können. Allein die Vorstellung, mit sich noch steigernder Geschwindigkeit hineingeschlürft zu werden in diese enge Röhre, in der fahle, aufgedunsene Kinderleichen im Takt der Ansaugstutzen obszöne Hüftbewegungen zelebrierten, ließ einen Schrei in Hiob aufsteigen, der sich in sauren Blasen aus seiner Nase zwängte. Nein. Er konnte, wollte da nicht rein. Nicht jetzt. Nicht zwischen totem, nacktem Fleisch sich wiederfinden, gemeinsam hilflos gegenüber der mechanischen Gewalt des pressenden Zwangs, und dann die Panik, und niemals mehr Luft, nicht mehr rechtzeitig, hysterische Aushol-/Auskeilbewegungen sich versehentlich durch talgig aufgeweichte Haut bohrend, in Raserei Unschuldige verstümmelnd, wie ein Tierversuchstier eingepfercht in einer Druckkammer samt bereits vorher Krepierten, ihre Gesichter in der Lichtleere wie barocke Engel, die Augen fromm nach oben verdreht, Münder offen, Muschelfleisch bewegt sich unter Zungen, verrenkt abstehende Gliedmaßen überall, eiskalt, knochig, fransig an den Rändern, und dann hindurch durch den viel zu kleinen Pumpentrakt und hinein in die schwammige Fäulnis all dessen, was im Lauf der Jahre sich im Sog dort fing, von Rasternetzen aussortiert, gesiebt, zerschnitten. Das alles ging zu schnell, zu unvorbereitet, ging jetzt nicht, ging überhaupt nicht so. Es musste ein Zurück geben, musste möglich sein, wenn man ein Mann war, der sich um niemand anderen kümmerte und der nicht mit eigenen Kindern belastet war.
    Hiob warf sich herum und fing an zu strampeln, wehrte sich gegen die Zudringlichkeit des Rohres. Seine Lungen füllten sich langsam mit hellrot leuchtendem Schmerz, aber das war eher gut so, stachelte ihn an. Seine rechte Fußsohle schürfte über Beton – die Mündung des Rohres, da war sie schon – stieß sich ab, versuchte, den ganzen Körper an der Dammwand entlang aufwärts zu stoßen, wo der Mahlstrom nicht ganz so viel Macht hatte wie im offenen Wasser. Für ein paar Momente fehlten Hiob Anhaltspunkte für oben und unten, aber geistesgegenwärtig stieß er reines Kohlendioxyd durch seinen Mund und folgte der bunten Kohlensäure.
    Seine Waden krampften, wurden zu Stein, zu mafiösem Lächerlichkeitszement an seinen Beinen. Sein Hirn fühlte sich kalt an, als würde ihm das Meer durch die Ohren hineindrängen. Er bildete sich mangelnden Druckausgleich ein, die Problematik zu schnell aufsteigender Tieftaucher, Blasen im hellorangefarbenen Blut, detonierende Zahnplomben, all diese Gräuelscherze. Die flechtenrutschige

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