Hippolyt Hermanus 01 - Vino Criminale
Nachricht enthielt. Der Tag versprach interessant zu werden. Er sah hinüber zu einer auf Leinwand erstarrten Renaissance-Dame in goldenem Rahmen, davor ein sorgfältig arrangiertes Blumenbukett, Stuckaturen an der Wand, ein schwerer Teppichboden, gerüschte Vorhänge an den Fenstern, zur akustischen Untermalung die
Vier Jahreszeiten
von Vivaldi, alles sehr gediegen, vornehm und elegant. Aber der Liegestuhl unter dem Olivenbaum in der Toskana wäre ihm jetzt entschieden lieber gewesen. Ob dieses Hotel Sabrinas Lebensgefühl entsprach? Ihr Vater, mit dem er am Telefon jede Etappe ihrer Reise durchgegangen war, hatte ihm das Hotel de la Ville* empfohlen. Nun gut, es konnte einem Schlimmeres passieren.
Während er sich im Frühstücksraum ein Cornetto holte und eine Tasse Cappuccino, betrachtete er skeptisch die Gäste, die sich am reichhaltigen Büfett labten. Nein, das war nicht seine Welt, das heißt, einerseits schon, schließlich liebte er feines Essen und teure Weine, andererseits schätzte er den Purismus des einfachen Lebens, die Reduktion aufs Wesentliche. Zugegeben, das war in gewisser Weise schizophren, aber nicht wirklich, denn das eine schloss das andere nicht aus. Gerade die vermeintlichen Gegensätze waren für ihn reizvoll. In alten Bermudas auf einem morschen Steg sitzen, wie heute unrasiert, die Füße im Wasser – dazu eine Flasche Tignanello, ein Korkenzieher und ein Glas von Riedel. Obwohl, zwei Gläser wären noch besser. Es wurde Zeit, dass er nach Sabrina sah. Er fuhr im Lift hinauf und betrat die Dachterrasse. Tatsächlich, ein kleiner Pool unter freiem Himmel, von einer niedrigen Hecke umsäumt, und mit Blick auf den Mailänder Dom. Erleichtert entdeckte er Sabrina, die sich auf einer Liege sonnte. Wo hatte sie nur diesen Bikini her? Hipp stellte fest, dass sie alleine waren. Er ging leise zu ihr hin, widerstand der unerklärlichen Versuchung, ihr einen Kuss zu geben, räusperte sich stattdessen und setzte sich auf die Nachbarliege. Er stellte die Cappuccino-Tasse auf den Holzboden und biss vom Cornetto ab.
»Ausgeschlafen?«, fragte Sabrina, ohne die Augen zu öffnen.
»Die Frage kann ich dir erst beantworten, wenn ich wach bin.«
»Verstehe.«
Täuschte er sich, oder war Sabrina heute Morgen irgendwie abweisend? Ob sie trotz ihrer geschlossenen Lider ahnte, dass er ihren Körper betrachtete? Genussvoll wanderte sein Blick von den Füßen und den Fesseln über ihre Beine, die in seinem Traum von vorhin so aufreizend gespreizt waren, zum knappen Slip, dann der Bauchnabel, der Rippenbogen, die Brüste, bei denen er etwas verharrte, der Hals bis zu ihrem Gesicht. Dort entdeckte er ein leises Lächeln, das ihre Mundwinkel umspielte.
»Fertig?«, fragte sie, noch immer mit geschlossenen Augen.
»Womit?«, entgegnete er scheinheilig und steckte sich das restliche Cornetto in den Mund.
Sabrina setzte sich auf und sah ihn an. »Ich möchte etwas klarstellen«, sagte sie, wobei sie alles andere als locker wirkte.
»Nur zu!«
»Das heute Nacht, das war nichts, hat nichts zu bedeuten.«
»Heute Nacht? Was soll da gewesen sein?«, sagte Hipp. »Ich glaube, da war wirklich nichts, oder?«
Sabrina nickte. »Ganz genau. Nichts, gar nichts!«
Hipp nahm seine Cappuccino-Tasse. »Entspann dich, es gibt nichts klarzustellen. Du hast dich einsam gefühlt, bist zu mir im Halbschlaf ins Bett gekommen, hast wie ein kleines Kind menschliche Wärme gesucht. Das alles hat nichts mit mir zu tun, ich weiß.«
Sabrinas sichtbare Anspannung lockerte sich. »Ich bin froh, dass du das so siehst. Ich möchte nämlich nicht, dass du denkst, ich wäre ein Mädchen, das …«
»Was für ein Mädchen?«
»Also, ich weiß ja selber nicht, was ich für eine Frau bin«, stotterte Sabrina. »Ob ich früher viel mit Männern, also mit vielen Männern, oder nicht, verstehst du, was ich meine?« Jetzt war sie wieder da, die Verkrampfung.
Hipp stellte die Tasse ab, nahm ihre Hände und schaute ihr in die Augen. »Sabrina, es hat wenig Sinn, darüber nachzudenken, wie du dich in der Vergangenheit gegenüber Männern verhalten hast. Ob du extrem prüde warst, was ich nicht annehme, oder besonders locker, was ich auch nicht glaube. Wahrscheinlich warst und bist du ganz normal. Außerdem lebst du in der Gegenwart und für die Zukunft. Folge einfach deinen Gefühlen, du hast dein Gedächtnis verloren, aber nicht deine Emotionen.«
»Aber das ist ja genau das Problem.« Sabrina machte eine kurze Pause. »Was machen übrigens
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