Hippolyt Hermanus 01 - Vino Criminale
großer Wertschätzung. Wann hatte man schon mal Gelegenheit, unter Deck, auf Barriquefässern sitzend, einen alten Brunello zu verkosten und gleichzeitig durch eine Glasscheibe die von Bootsscheinwerfern angestrahlte Unterwasserwelt zu bestaunen? Dr. Lausitz verstand sich auf solche Inszenierungen, die er als PR -Maßnahmen einschätzte, die letztlich wieder dem Geschäft zugute kamen.
Heute Vormittag freilich, da genoss er an Deck das schöne Wetter, das türkisblaue Wasser, den gekühlten Champagner – und die Gesellschaft von Melissa, einer betörend gut aussehenden Mailänderin, mit der Lausitz seit etwa einem Jahr befreundet war. Da Melissa einem Beruf nachging, trafen sie sich nur sporadisch, aber seiner Meinung nach konnte das in einer Beziehung nur von Vorteil sein. Obwohl, eine Frau, die so gigantisch aussah, zudem Champagner – wie gerade eben – bevorzugt nackt zu trinken pflegte, ein solches Weib sollte sich eigentlich weniger rar machen.
Lausitz sah, dass sich ein weißes Schlauchboot seiner Yacht näherte, und da er wusste, dass mit der
Tender to Brunello
Serafino Panepinto anlegen würde, bat er Melissa, sich etwas überzuziehen.
Da war er konservativ, man musste nicht alles mit anderen Menschen teilen, und der uneingeschränkte Anblick von Melissas Körper zählte gewiss dazu. Außerdem hatte sich Serafino eine solche Erfolgsgratifikation wohl kaum verdient.
Einige Minuten später saß Panepinto mit Lausitz und Melissa am Deckstisch. Melissa hatte ein weißes Shirt an, das mit »Crew di Brunello« bedruckt war.
»Nun, was gibt es Neues?«, fragte Lausitz, das Champagnerglas bedächtig zwischen den Fingern drehend.
Panepinto zuckte mit den Schultern. »Nichts!«, antwortete er.
Lausitz sah ihn ernst an. »Nichts? Das ist irgendwie nicht optimal.«
»Nein, nicht optimal«, gab Panepinto zu, »aber was hätte ich tun sollen? Der alte Pertini stand nun mal direkt neben der schnell laufenden Entrappungsmaschine.«
»Ein schrecklicher Tod!«
»Absolut, stell dir vor, sein Körper in kleine Stücke zerhackt und portionsweise zum Abfallrohr hinausgeblasen.«
»Igitt.« Melissa schüttelte sich.
»Das konnte ich doch nicht zulassen, also habe ich ihn im letzten Moment zurückgerissen, sein rechtes Bein wäre fast noch in die Entrappung geraten. Dann habe ich die Maschine gestoppt und Hilfe geholt …«
»Ich weiß, du musst mir nicht alles doppelt und dreifach erzählen.«
»Ich will ja nur, dass du verstehst, warum …«
»Ist ja in Ordnung. Es ist nur so, dass ich diesen Akt der Nächstenliebe von dir überhaupt nicht erwartet hätte. Und die Situation ist dadurch nicht einfacher geworden.«
»È vero, Pertini liegt immer noch auf der Intensivstation. Der Schlaganfall hat ihn ganz schön mitgenommen …«
»Ich dachte, er hatte einen Herzinfarkt?«
»Irgendwas war auch mit dem Herzen, aber das Hauptproblem ist der Schlaganfall. Er scheint halbseitig gelähmt zu sein, und außerdem kann er nicht sprechen.«
»Wie soll er in diesem Zustand seine Tenuta an mich verkaufen? Er kann ja keinen Vertrag unterschreiben. Da wäre er besser tot. Seiner trauernden Witwe wäre kaum etwas anderes übrig geblieben, als mein Geld anzunehmen.«
»Aber Luca Pertini lebt«, stellte Panepinto fest.
»Wenn man diesen Zustand als Leben bezeichnen kann. Und nun?«
»Und nun? Wir müssen abwarten.«
»Ich hasse es zu warten.«
»Warum sind Sie so auf die Tenuta del Leone fixiert? Ich hätte da ein herrliches Weingut auf Sardinien an der Hand. Wir könnten es noch heute anschauen, ist nicht weit von hier, gleich hinter Olbia in den Hügeln der Gallura. Zwanzig Hektar in bester Lage, also pro Jahr über hunderttausend Flaschen erstklassiger Vermentino*, dazu roter Cannonau*, ein Wein mit hohem Qualitätspotential …«
Lausitz unterbrach ihn mit einer energischen Handbewegung. »Wie heißt dieses Schiff?«, fragte er.
»Brunello«,
antwortete Panepinto.
»Na siehst du, meine Yacht heißt weder
Vermentino
noch
Cannonau
, was übrigens viel zu sehr nach Kanu klingt und für ein Schiff dieser Größe reichlich deplatziert wäre.«
»Das hat doch mit dem Namen Ihrer Yacht nichts zu tun. Der Vermentino aus der Gallura hat eine herrliche strohgelbe Farbe, verfügt über ein fein strukturiertes Aroma, am Gaumen mit leicht bitteren Anklängen …«
»Du musst mir den Vermentino nicht schmackhaft machen, ich trinke ihn gerne, nicht nur hier auf Sardinien, aber ich habe kein Interesse, ihn selber zu
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