Hippolyt Hermanus 01 - Vino Criminale
jetzt nach hinten schwang. Einige Tannenzweige schrammten über ihre Köpfe. Es gab einen Schlag, als die Holzkiste gegen einen Baumstamm prallte, dann pendelte sie wieder zurück und kam erst langsam zum Stillstand. Sabrina lag auf dem Rücken, schwer atmend und zitternd. Noch immer hatte Hipp ihren rechten Oberarm fest im Griff. Nach unten sehend, realisierte er, dass sie gerade mächtiges Glück gehabt hatten. Vielleicht zwanzig Meter unter ihnen, die Höhe war von hier schwer abzuschätzen, ragten einige spitze Felsen aus dem Waldboden.
»Alles okay?«, fragte er, Sabrina loslassend.
»Danke, geht so«, antwortete sie, »ich glaube, du hast mir gerade das Leben gerettet.«
»War mir ein Vergnügen.«
Sie langte sich an den Hinterkopf. »Mir brummt der Schädel, scheint meine Schwachstelle zu sein.«
»Die Bank …«, sagte Hipp, der sich seiner Höhenangst zum Trotz weit aus dem Kasten lehnte, um einen Blick auf die Talstation zu erhaschen. »Du hast dir an der Bank den Kopf angeschlagen.«
Sabrina setzte sich vorsichtig auf. Dabei versuchte sie möglichst wenig zu schaukeln, denn umgekehrt würde sie Hipp wohl kaum festhalten können.
»Jetzt weiß ich, warum diese Art von Lift nicht für Personentransporte zugelassen ist«, sagte sie. »Die Technik ist ja noch schlechter, als sie aussieht. Damit dürfte man in Amerika nicht einmal Hotdogs befördern.«
»Immerhin hat das Seil gehalten, und unser Kasten ist in der Verankerung geblieben. Wir sollten dieser archaischen Technik von Herzen dankbar sein.«
»Aber sie hat uns fast in den Tod befördert.«
»Da bin ich mir nicht so sicher«, sagte Hipp.
»Wie meinst du das?«
»Leider lässt sich unsere Talstation von hier kaum erkennen, aber ich glaube, da ist jemand. Hat einen roten Pulli an.«
»Vielleicht hilft er uns?«
»Oder auch nicht«, flüsterte Hipp.
»Wie bitte?«
»Ich halte es für denkbar«, sagte er, »dass die betreffende Person für unseren Zwischenfall verantwortlich ist und wenig Interesse hat, uns zu helfen, ganz im Gegenteil.«
»Du meinst …?«
»Ganz genau, das meine ich.«
»Wir sollten die Polizei anrufen«, sagte sie.
»Geht leider nicht, das Handy liegt im Auto auf dem Rücksitz.«
Ein Ruck ging durch das Stahlseil. Erneut begann der Kasten hin und her zu schwingen.
»Das finde ich nicht witzig«, sagte sie und sah ängstlich nach unten, »überhaupt nicht witzig!«
42
V on Sankt Josef am See war er hinter ihnen hergefahren. Über die romantische Weinstraße, die er von früheren Besuchen in Südtirol gut kannte. Er erinnerte sich an Weinproben bei Schreckbichl* in Girlan, an den vollmundigen Pinot Grigio, der hier Ruländer genannt wurde, an den süffigen Lagrein* und den kraftvollen Gewürztraminer*, der in Südtirol seine Heimat hatte. Bei Sankt Michael-Eppan* dachte er an die großen Holzfässer im Keller, an den strohgelben Weißburgunder Schulthauser und den eleganten Pinot Nero Sanct Valentin. Und natürlich kam ihm der Südtiroler Winzer Alois Lageder* in den Sinn, der weiter südlich in Margreid mit dem Weingut Casòn Hirschprunn und dem Ansitz Löwengang charaktervolle Weine vom täglichen Genuss bis hin zur Extraklasse produzierte. Mal im Stil französischer Château-Weine als Cuvées, vor allem aber reinsortige Weine, von denen er insbesondere Hochgewächse wie den Cabernet Cor Römigberg zu schätzen wusste.
Aber er war nicht hier, um sich mit Weinen zu beschäftigen. Nein, ganz und gar nicht. Leider gab es für ihn momentan andere Prioritäten. Dazu musste vor allem zählen, nicht entdeckt zu werden. Er hielt großen Abstand und achtete darauf, dass sich immer mindestens vier, fünf Autos zwischen ihnen befanden. Kurz vor Bozen verlor er sie aus den Augen. Auf gut Glück zweigte er Richtung Meran ab. Das Schicksal meinte es heute gut mit ihm, nach einigen Minuten hatte er sie wiederentdeckt. Kurz hinter Naturns waren sie plötzlich verschwunden. Er fuhr einige Kilometer weiter, drehte um, sah auf dem Parkplatz eines Wirtshauses nach, das mit seinen frischen Forellen Werbung machte, und bog schließlich in einen kleinen Forstweg ab. Im Schritttempo fuhr er weiter. Er kam sich vor wie ein Indianer auf dem Kriegspfad. Im Kofferraum hatte er ein Jagdgewehr mit einer Schachtel Munition liegen. Sollte sich jetzt die Chance bieten, auf die er schon so lange wartete? Sollte ihm jetzt gelingen, was im Turiner Krankenhaus gescheitert war und wozu er in Mailand keine Gelegenheit gefunden hatte?
Als er vor sich
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