Hippolyt Hermanus 01 - Vino Criminale
Armen und den bohrenden Kreuzschmerzen. Jedenfalls dann, wenn der Anschlag dir gegolten hat, was leider wahrscheinlicher ist.«
»Wie auch immer, ich bin unserem Peiniger von Herzen dankbar.«
Hipp sah sie verständnislos an. »Das ist nicht dein Ernst?«
Sabrina lächelte. »Doch, denn ich kann mich wieder an meine Kindheit erinnern, wo ich zur Schule gegangen bin, an mein rotes Fahrrad, an meine Mutter, wie sie mit mir Tennis gespielt hat, an meinen Vater beim Angeln. Ich kann es mir nicht erklären, aber wie ich mich in Panik an den Ast geklammert habe, da ist die Erinnerung an meine Kindheit zurückgekehrt. Unser Hund hieß Barbaresco, und er hat mir immer das Gesicht abgeschleckt, igitt!«
»Barbaresco? Hieß nicht dein Pferd Chardonnay?«
»Ja, und unsere Katze Sangiovese.«
»Das nenne ich eine frühkindliche Prägung. Erstaunlich, dass dich dein Vater Sabrina genannt hat und nicht Cabernet Sauvignon oder Merlot. Aber im Ernst, das ist nicht ungewöhnlich, eine posttraumatische Amnesie kann durch eine weitere traumatische Erfahrung aufgehoben werden. Wie weit reicht deine Erinnerung in die Gegenwart?«
»Nicht weit. Sie endet irgendwo im Alter von zehn oder zwölf Jahren, so genau weiß ich es nicht. Wie Wasser, das am Strand im Sand versickert. Ich kann mich noch an mein erstes Pony erinnern und an eine rothaarige Freundin mit Sommersprossen, sie hieß Patsy und hat mich in der Schule abschreiben lassen.«
»Du hast abgeschrieben?«
Sabrina wurde rot. »Ja, vor allem in Rechnen.«
»Darauf sollten wir anstoßen.«
»Darauf, dass ich beim Rechnen geschummelt habe?«
»Und dass du dabei nicht erwischt wurdest. Nein, ich denke, wir haben bessere Gründe.«
Hipp nahm die Flasche Spumante von Ferrari* aus dem Eiskühler und füllte ihre beiden Gläser, die auf der hölzernen Brüstung ihres Balkons standen.
»Auf den guten Ausgang dieses Tages, dass wir alles mehr oder weniger heil überstanden haben, und darauf, dass unser Widersacher das Gegenteil von dem erreicht hat, was er wollte. Deine Erinnerung, sie kehrt zurück. Salute!«
Sabrina hob ihr Glas. »Und darauf, dass ich dir sehr, sehr dankbar bin.«
»Wofür? Meine Fähigkeiten als Bodyguard sind leider unterentwickelt. Wie man an deinem Knie sieht.«
»Halb so schlimm, ich lebe noch. Aber das meinte ich überhaupt nicht. Ich bin dir dankbar dafür, dass …«
Hipp legte ihr einen Finger auf die Lippen. »Lass gut sein. Trink einen Schluck vom Spumante und genieße den lauschigen Sommerabend.«
Minutenlang schwiegen sie und hingen ihren Gedanken nach. Während Sabrina die aufziehende Nacht genoss, ein Windlicht anzündete und es auf die Balustrade stellte, hatte sich Hipp bequem zurückgelehnt und die Augen geschlossen. Fast konnte man glauben, dass er schlief, aber plötzlich machte er mit der Hand merkwürdige kreisförmige Bewegungen, die Sabrinas Interesse weckten. Schließlich langte er sich an die Stirn, um kurz darauf mit dem Zeigefinger Löcher in die Luft zu bohren. Jetzt richtete er sich auf und drückte beide Daumen gegen die Schläfen – immer noch mit fest geschlossenen Augen. Sabrina sah ihn verwundert an. Ein Lächeln huschte über seine Lippen, die angestrengten Gesichtszüge entspannten sich, er öffnete die Augen, zuckte zurück, als er Sabrina sah, nahm erstaunt seine Umgebung wahr, in der er sich offenbar erst wieder zurechtfinden musste.
Sabrina schüttelte beunruhigt den Kopf. »Fehlt dir was? Soll ich einen Arzt holen?«
»Ein roter Alfa Romeo«, murmelte Hipp ohne Zusammenhang, »mit zwei Türen.«
»Dein neues Traumauto?«
Er wendete sich Sabrina zu, schlug die Beine übereinander und grinste. »Nein, der Wagen unseres Freundes, der uns heute in den Tod befördern wollte.«
»Ein roter Alfa? Woher weißt du das plötzlich?«
»Ich bin die Strecke in Gedanken noch mal abgefahren. Die Weinstraße von Manincor über Girlan Richtung Bozen. Das sechste Auto hinter uns war ein roter Flitzer mit der charakteristischen Frontpartie von Alfa. Kurz vor Bozen war der Wagen verschwunden, eine rote Ampel hat uns getrennt. Der blaue BMW direkt hinter uns ist zur Autobahn abgebogen, der schwarze Fiat dahinter fuhr ebenso wie der Audi Richtung Bozen. Nach fünf Minuten auf der Straße nach Meran war der rote Alfa wieder da. Ist mit hoher Geschwindigkeit herangeschossen, um dann abzubremsen und uns in großem Abstand zu folgen. Leider fällt mir das erst in der Retrospektive auf …«
Sabrina sah ihn fassungslos an. »Du
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